Natürlich war der gestrige Linkpost ein wenig aus der Hüfte geschossen. In der Realität ist es zwar wirklich so, dass der reale Stundenlohn in den Behindertenwerkstaetten lediglich 1 Euro 35 beträgt, allerdings spielen wohl bei den meisten der Beschäftigten weitere Faktoren ausser den harten monetären eine Rolle. Arbeit ist Teilhabe. Was nicht heissen soll, dass man hier nicht gerecht und fair bezahlt werden sollte. Ich arbeite seit elfeinhalb Jahren (mit zwei 3-monatigen Unterbrechungen) in einer solchen Werkstatt. Es werden Sozialbeiträge gezahlt, die mit Hilfe eines fiktiven Entgeltes von etwa 2000 Euro berechnet werden. Es gibt Essen. Es handelt sich in der Regel um Vollzeitarbeit. Man wird ein wenig von dem in der Wirtschaft üblichen Produktionsdruck abgeschirmt. Niemand schaut extrem auf die Uhr. Es gibt einen Werkstattrat und Interessenvertretungen. Es gibt flache Hierarchien. Circa 1-2 Prozent der Beschäftigten kann auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Die Arbeit ist eher monoton. Jedoch wird von den Werkstätten mehr geleistet als die reine – in der Psychiatrie so hoch geschätzte – Tagesstruktur. Es ist keine Beschäftigungstherapie sondern Produktionsarbeit. Aus der Erfahrung kann berichtet werden, dass es sich hierbei nicht etwa um eine Parallelgesellschaft handelt, sondern dass die Arbeitgeber eng mit der regionalen Wirtschaft verknüpft sind. Bei uns gibt es Laserarbeiten, Etikettierungen, Musterherstellung, einen Druckbetrieb mit Werbemailings und Flyer- und Postererstellung, Konfektionierungen sowie Hauspost, innerbetrieblichen Warentransport, Materialbeschaffungen und Verpackungsarbeiten. Man bekommt einen Eindruck, wie eine kleine Abteilung mit wechselnden Krankheitsausfällen organisiert werden muss. Nerven kostet es, oh ja. Kommen wir zu weiteren, positiv zu vermerkenden Details und Eigenschaften.
- Das effektive Gehalt beträgt in etwa 850 Euro.
- Es gibt einen Gruppenzusammenhalt, der feuererprobt ist und wechselseitiges Einspringen, Fehlerkorrektur sowie Tolerierung von schwer vermittelbaren Eigenschaften umfasst.
- Einige Jahre lang gab es eine autonom betriebene Frühstücksorganisation.
- Die Einstiegshürden sind relativ gering.
- allerdings kommt man also leichter rein als raus.
- Praktika und ausserbetriebliche Arbeitsvermittlung sind schwierig, aber nicht unmöglich.
- Fortbildungsangebote vervollständigen das Bild der Lebenshilfe als Arbeitgeber.
Nun, natürlich kämpft man sich derweilen von Tag zu Tag. Aber wo ist das anders (außer am Strand) ?
Mit dem Schuppen verbindet mich eine Hassliebe. Der, die oder das intrinsische Momentum der Krankheitsbewältigung und der autobiographisch bedingten (gehemmten oder verlangsamten) Persönlichkeitsentwicklung sowie das Verlassen von Komfortzonen und unverfälschter Durchhaltewillen sind hier als Faktoren des Gesamtbildes zu nennen. Die Ärzte hingegen würden irgendetwas von “parathym” schreiben. Peergroups. Ein bisweilen bürokratisches Monstrum. Hilfe zur Selbsthilfe. Verständnis, Flurfunk und Raucherpausen. Eine Mutterfirma. Leder.
Nun wissen Sie, dass es uns nicht ums Geld geht und dass der Mindestlohn nicht überall angewendet wird. Bald mehr in diesem Medium und gewohnt professionell ambivalent.