Mauritius Niederhol nimmt Ergonyl

Nachdem die heftigsten Gewitterattacken auf dem verschlammten Waldweg abgeklungen waren; es war dunkel, kalt und ungemütlich; erblickte Maurie vier riesige Windmühlenflügel, die sich zu seinem Erstaunen, unmerklich langsam zwar, aber dennoch drehten. Als er sich dem Gebäude aus dem vor- oder drittletzten Jahrhundert näherte, schauderte es ihn ob des Geruchs von Essensresten, Fahrzeugteilen, vermoderten Pilzen und verschiedenen Teesorten. Unerschrocken pirschte er sich an den kleinen Eingang heran. Aus dem Augenwinkel erblickte er eine kleine Filmdose, die er jedoch wohlweislich unangetastet liegenließ. Den Durchmesser eines Flügels maß er grob auf über fünfzehn Meter. Ungehindert stieß er die Tür auf und trat ein. Noch mehr Dunkel umgab ihn, aber wenigstens war es trocken. Mehr als alles andere dürstete es ihn nach einem frisch aufgegossenen Tee. Er tastete sich vorwärts, schließlich fiel ihm wieder ein, dass er ja mal Raucher gewesen war, folglich fand er in seiner rechten Hosentasche ein Feuerzeug mit benutzbarer LED. Zunächst die LED nur einmal kurz aufblitzen lassend und von weiß zuckenden Blitzen von draußen unterstützt sah er viele Säcke unbekannten Inhalts an der dem Eingang abgewandten Seite aufgestapelt. Nachdem er ihren Inhalt als essbar identifiziert hatte, begann er, den Rest der alten Mühle zu untersuchen, um der rätselhaften Funktionstüchtigkeit und eventuellen weiteren Bedienungsmöglichkeiten auf die Spur zu kommen.

Nach einigen geistigen Notizen versetzte ich mich zurück ins hier und jetzt, dokumentierte ein ‘klack-ratsch’ und beamte mich für kurze Zeit raus.

‘Klack-ratsch’ machte es auch, als Maurie die nicht mehr vollständig besprosste Leiter zu dem Bedienungsdeck des Mühlfahrzeuges erklommen hatte und die Leiter unter seinen Füßen ins unerreichbare Erdgeschoss zurückfiel. Das Deck erwachte flackernd zum Leben. Nach einigen Stunden Erkundungs- und Testbedienungen mit Hilfe eines rot-weißen Rescue-and-check-modusses hatte Maurie die Sauerstoffzufuhr, den Mahltrieb, den Windgeschwindigkeitsmesser, die Eisboxen für die Fracht und die Kommunikationsanlage probehalber bedient und intuitiv rudimentär verstanden. Obwohl er zwar punktuell gern allein war, entschloss er sich doch, bis zur Rekrutierung oder Zusammenfindung mit ein oder zwei Gefährten oder Gefährtinnen beim Rescue-and-check-modus zu bleiben. Er vermisste seinen Hund Fridge. Im Deckkühlschrank samt umfunktionierter Icebox befand sich genug Nahrung von Pizza über Kuchen bis zu Bier, Kaffee und Tee, sodass er die Kommunikationsreichweite als Rufweite getrost verkraften konnte und endlich einen Tee trank, bevor er versuchte, Johann und Jane zu erreichen, notfalls per guter alter Post, Trommeln, Rauchzeichen oder Flaggensprache, da beide sich zu diesem Zeitpunkt in Blick- und Rufweite befinden mussten und auch noch würden, wenn der Tee vorüber war.
Blieb die Frage, ob die beiden erstens aufnahmefähig und zweitens willens und in der Lage waren, einen Startversuch zu unternehmen. Er konnte nicht mehr allein runter, ohne sich die Knochen zu brechen, aber sie könnten hochkommen und ihn, wenn schon nicht tatkräftig, so doch seelisch-moralisch unterstützen.

‘Gimme beer’, sagte Maurie.
Fridge schwieg. Genauer gesagt schwiegen alle drei Fridges. Der Hund Fridge hörte seinen Namen, hob kurz den Kopf und wandte sich dann desinteressiert ab. Alle drei Fridges waren Materialisationen oder Impersonifikationen aus demselben Paraversum. Der Kühlschrank Fridge begann einen Kühlungswärmeaustauschzyklus. Das Gesamtsystem des Windmühlencockpits hatte den Status ‘Künstliche Intelligenz’ hinter sich gelassen und konnte mit Fug und Recht als Natürliche Intelligenz bezeichnet werden. Auch es schwieg, weil das Bier zu Neige gegangen war. Ansonsten hätte es mit ‘Mehr Details, bitte’ geantwortet. Fridge brummte derweil lediglich etwas vor sich hin. Er brummte virtuell, da er keinen physischen Schädel besaß, der vom eingebildet inhalierten Alkoholkonsum brummen konnte, aber er war durch unzählige analoge Röhrenverstärker geflossen, so dass man mit Recht von brummen reden konnte. Maurie holte tief Luft, dachte an nix und fuhr den Siliziumanteil in der Glasfaserproduktion etwas nach oben.
Wir Informatiker hatten es geschafft, die Welt perfekt von der Maschine abhängig zu machen, die Programmiersprachen und Datenbanken, die Algorithmen und Datenstrukturen verschwammen zu Appointments, Googlemania, SMS-Schleudern mit Sexwerbung, wir vergaßen, was uns als Menschen eigentlich ausgemacht hatte, nämlich das zutiefst analoge Element des Vergessens, der Fehlhaftigkeit und des Versagens.

Das Vergessen könnte allerdings ebensogut auf über- und regelmäßigen Cannabisgenuss zurückgeführt werden, während die Fehlhaftigkeit jedwedem Leben sowie Bauteilen und Algorithmenfolgen potentiell immanent ist und das Versagen ist eine Übung, die auf alle, jeden und jede von uns wartet, Programm, Pflanze, Struktogramm, Tier, Atomkraftwerksummantelung, Verhütungsmittel, Kaffeedosenverschluss oder Mensch.

‘Kokosfett und Tiefseeschlamm in den Notfallkoffer !’ sagte Fridge.

Nachdem er diesen selbsterteilten Befehl akustisch und inhaltlich verstanden und bearbeitet hatte, legte er beide Dinge vorsichtig hinein. Er öffnete das Bullauge, sah eine Weile ins Leere, öffnete dann die Tür und ging los.

Als Fridge wieder zu sich kam, fühlte er, zunächst nur beinahe unmerklich, seine Füße und fragte sich einen Sekundenbruchteil, wer er war und was er tat und dachte.. ‘Ich gehe zu Fuß’, meldete sich sein Bewusstsein. ‘Woher, wohin, warum und was ist mein Ziel ?’ Er wurde von Gedanken überflutet, setzte aber trotzdem weiterhin einen Fuß vor den anderen.

In der Windmühle war alles auf Autopilot geschaltet. Das Überwachungsprogramm lief. Maurie beobachtete Fridge auf allen Bildschirmen. ‘Er hat’ s geschnallt.’ dachte Maurie. ‘Er braucht nur gehen.’

b (oder Sanity)

Ich stehe auf. Ich gehe. Ich verlasse das Haus. Peter Stamm ist Schweizer. Der Rezipient erfährt etwas von dem Prozess. Der Unendliche Unwahrscheinlichkeitsdrive ist in etwa so wie ein PAL oder von schlechten Nachrichten angetriebene Raumschiffe. Allerdings hätte Professor Tarantoga auch noch etwas dazubeizutragen gehabt. Das Domain Name System ist ausser Kontrolle geraten. Wenden wir uns Erfreulicherem zu. Sanity ist nicht selbstverständlich. Im weiteren Verlaufe wird eine Verifizierung oder eine Falsifizierung vorgenommen. Synchronisation vorgenommen.

Die Bartolomäusnacht gehört noch nicht zu den konsumierten Dingen. Pulp Fiction hingegen sehr wohl. Boston (Massachuchetts) ist die Wiege.

92.205.21.120

Was zählt der Augenblick,
wenn es eine Ewigkeit dauert,
den Schmerz zu verwinden ?

Was zählt ein süßer Kuß,
wenn die Zeit danach
unendlich bitter schmeckt ?

Was zählt das Feuer einer Nacht,
wenn die Tage danach
eisig und kalt sind ?

Was zählt das Wort,
wenn die Taten
eine andere Geschichte erzählen ?

Was zählen die Taten,
wenn die Worte
sie zunichte machen ?

Was zählt die Geborgenheit,
wenn Einsamkeit
sie ummantelt ?

Was nährt die Hoffnung,
wenn die Realität
sie zerstört ?

Warum eine kranke Seele pflegen,
um sie dann
dem Alleinsein zu überlassen ?

Warum sich klammern
an eine längst verlorene Sache ?

FORTSETZUNG

Es zählt alles
Es zählt,
weil es uns am Leben erhält.

Der Augenblick zählt,
weil er die Vergangenheit reicher macht.

Der Augenblick zählt,
weil er der Phantasie Flügel verleiht.

Der Augenblick zählt,
weil er alles ist,
was wir besitzen.

Der Augenblick zählt,
weil er alles ist,
was wir in diesem Augenblick besitzen.

Der Augenblick ist das Fundament der Gefühle.

Der Augenblick ist vielleicht der letzte Schritt.

Der Augenblick ist vielleicht der letzte Eindruck,
den Du bei mir hinterläßt,
bevor Du gehst.

Der Augenblick ist es,
den ich als Bild von Dir behalten möchte.

a (oder Wahrheit)

Machen wir ein Schreibexperiment. Lektüre kann Wissen erweitern, aber auch verwirren. Bücher werden nicht notwendigerweise in derselben Reihenfolge geschrieben, wie sie gelesen werden. Unwägbarkeiten ergeben sich, wenn man sich für den Weg als Autor entscheidet. Science Fiction ist Realität geworden. Nachdem Normalität wiederhergestellt war, wunderten wir uns doch etwas. Code is Poetry. Befinden wir uns in einem “Dream within a Dream” ? In der Mathematik kann man zunächst behaupten was einem gerade in den Sinn kommt. Beweis durch Widerspruch ist eine allseits bekannte Methodik. Nach diesem Icebreaker synchronisieren wir uns.

Matrix ist ein allseits weitverbreiteter Chatclient. Die dazugehörige Oberfläche der Wahl heisst “Element”. Nun fahren wir mit der Dokumentation fort.

Melbourne wartet. 46.163.118.221

Tagein, tagaus dieselbe Runde
wie ist der Schlaf, so sei die Kunde
wie geht’ s, wie steht’ s was macht das Herz
und was macht der Seelenschmerz
Manie, Depression und Schizophrenie
manche Wunden die heilen nie
doch die Situation die ändert sich
wenn man sich sagt ich akzeptiere mich
der Doktor fragt : wie wirken die Pillen ?
ich sage was zählt ist der Willen
ein Zeichen gegen die Gleichgültigkeit
ist ein Steinwurf mit Macht dann fliegt man weit
die Welt ist nicht scheisse sie ist bunt
ich schreibe mir die Finger wund
es klappt wenn man sagt ich habe Kraft
und lebe mit ganzer Leidenschaft
ein Feuer brennt in jedem von Euch
im Auge, im Herz und jetzt Schluss mit dem Zeuch

Umwege

Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist keinesfalls eine gerade Linie. Im rein mathematischen Sinne ist das natürlich der Fall. Aber wir reden hier nicht von Mathematik, sondern von Umwegen in der Lebensführung, in biographischen Entwicklungen, im Korrigieren von Fehlern, in Grenzüberschreitungen. Wir sprechen auch nicht im theologisch-spirituell-philosophischen Sinne. Im lebenspraktischen, dinglich orientierten, überlebenstechnischen, physikalisch-biologischen Sinne gehören Umwege einfach dazu. Evolution, genau wie Genesung von Krisenerfahrung und Sinnverlust, geschieht nicht über Nacht. Bedingt durch eine Grenzerfahrung kämpft der Autor sich durch die medialen und rehabilitationstheoretischen Straßenwelten der Institutionen dieser Republik. Die Krankenhausflure waren schwer erträglich. This is not meant as excuse but as explanation.

<edited>lmn</edited> (this is xml notation and a rww-feature) Safety pins for socks and tennis balls for pillars.

Noch einige Büchertips:

Kurt Vonnegut – Zeitbeben
Andrew Henry Vachss – The Burke Series
Clive Staples Lewis – Die Perelandra Trilogie
Daniel Quinn – Ismael
Max Goldt – Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zwickau
Paul Auster – Leviathan
Douglas Noel Adams – The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy
Rudy Rucker – Der Ozean der Wahrheit

5223 (as seen on TV: Horst)

Horst

tags: literatur silvester horst

Normalerweise ist es dunkel, aber wir haben auch keine Augen in dem Sinne. Wir sind viele. Ein paar von uns leben im Mund, ein paar im Magen und im Darm, ein paar in den Adern, einige gar im Gehirn und der Blutkreislauf würfelt uns regelmäßig ordentlich durcheinander. Wir sind die unsichtbare Schutztruppe, die für die hormonelle und biochemische Gesundheit unseres Wirtes sorgt. Wir hatten uns immer vorgestellt, unser Wirt sei männlich, weiß und etwa 30, aber so genau wissen wir das natürlich nicht. Nennen wir ihn an dieser Stelle einfach einmal Horst. Er tat einiges, um uns auf Trab zu halten, das muss man sagen. Horst hatte heute eine große Menge Alkohol zu sich genommen, so dass wir einiges zu tun hatten, um diesen feindlichen Stoff wieder abzubauen. Er war auf dem Sofa eingeschlafen und wir hatten alle Hände voll zu tun. Molekül für Molekül wandelten wir um. Nein, maßvoll war das nicht gewesen. Wenigstens hatte er sein Essen bei sich behalten. Im Kopf waren einige von uns dabei draufgegangen. Wenn uns jemand gefragt hätte, hätten wir von einer richtigen Vergewaltigung des Körpers berichten müssen. Während Horst also seinen Rausch ausschlief, arbeiteten wir wie die wilden. Morgen würde er mit einem Kater erwachen, einen Kaffee und eine Zigarette zu sich nehmen, unter die Dusche gehen und sich dann an sein Tagwerk machen. Wir nahmen unseren Auftrag sehr ernst, hatten wir doch für das richtige Gleichgewicht zu sorgen und dafür, dass Horst nicht noch mehr Mist machte als unbedingt notwendig oder dass wenigstens sein Körper keinen größeren Schaden davontrug. Nachmittags war der Blutalkoholwert wieder im grünen Bereich. Wir sind so etwas wie die Feuerwehr. Während die Welt feierte, haben wir gearbeitet. Einige von uns konnten Horst immerhin so weit bringen, dass er am übernächsten Tag joggen ging. Da feierten die Endorphine eine richtige Party im Kopf. Während der anschließenden Dusche gingen einige von uns verloren. Beim folgenden Spiegelei bekamen wir endlich wieder Arbeit. Sogar wenn Horst schlief, waren wir aktiv. Wir bauten ihm Bilder, einen richtigen kleinen Film des vergangenen Tages ließen wir in seinem Kopf ablaufen. In der Regel sind wir gut organisiert. Wo unsere Schaltzentrale sich befindet, ist nicht so leicht auszumachen.

Wir kommunizieren in etwa so wie Ameisen oder Bienen. Eine Schwarmintelligenz. Horst war sich noch nicht einmal bewusst, wieviel er uns zumutete. Niemand weiß, ob er überhaupt unsere Anwesenheit erahnte. Mangel an Vitamin C war nicht das primäre Problem, so würde Horst wenigstens nicht an Skorbut sterben. Nun, gewiss trank er zu viel Kaffee und rauchte zu viel. All das bedeutete eine Menge Arbeit für uns. Wir hielten den Laden jedenweils so weit ganz gut am Laufen, denn wirkliche Drogen nahm Horst nicht mehr zu sich. Wir sind schon ganz gespannt, was er sich als nächstes einfallen lässt. Temporäre Verschiebungen sind eingetreten. Ein Flashback schüttelte Horst heute nacht. Oh was liefen da nur für komische Filme. Allein war Horst ins Bett gegangen, allein stand er wieder auf. Er arbeitete in so etwas Ähnlichem wie einem Bergwerk. Am Konsum von psychoaktiven Substanzen konnte es nicht liegen.

Wir hatten ihn nach Stunden wieder so weit, dass er eine Mahlzeit zu sich nehmen konnte. Danach wurde er regelmäßig müde. Uns dünkte irgendwie, wir müssten uns eine Lektion für ihn einfallen lassen. Wir schlossen uns mit dem Herrn des Universums kurz und der sandte uns ein Gehirnrindenkribbeln. Ein ganz leises nur, das Horst nur erahnen konnte, als er über die Straße ging und eine Sirene hörte. Aber es hatte gereicht, er war verunsichert. Als hätten wir ihm ein paar Antennen rausgezogen, bombardierten wir ihn fortan mit Denkanstößen. Wir mussten aufpassen, dass wir nicht übers Ziel hinausschossen. Nun wurde ihm also langsam bewusst, dass er auf der Suche war. Nein ihm war nicht wirklich klar, wonach. Langsam hatten wir ihn so weit, dass er Hilfe annahm. Ein Spaziergang, ein Kaffee, eine Zigarette, ein Gespräch. Er hatte angefangen. Seine biologische Familie schien ihm nicht der richtige Ort zu sein.

Fünfzehn Jahre später würde er darüber mit dem Kopf schütteln, dass diese Reise zu dem unbekannten Ziel so leise und langsam angefangen hatte. Doch heute wusste er davon nichts. Er begann, sich zu strukturieren. Er machte Trinkpausen. Er ließ seine Mitmenschen gewähren, wenn sie denn unbedingt untergehen wollten. Er suchte sich eine neue Familie. Er las. Er betete. Mit Meditation konnte er nichts anfangen. Gewiss, er hörte laute Musik und war cholerisch, aber er begann, zu unterscheiden zwischen Dingen, die er ändern konnte und Dingen auf die er keinen Einfluss hatte. Das war ein Anfang, klein genug. —- In all den Jahren ever since hatte Horst dazugelernt, vielleicht nur graduell, aber immerhin. Nun war er also Gefangener seiner eigenen Vergangenheit. Er wandte sich nicht mehr an Ärzte. Der Hölle entkommen hatte er nun also so etwas wie ein eigenes Leben. Das Bergwerk war der Ort, an dem er tagsüber rauchte. Das System hatte allzu gründlich von ihm Notiz genommen, sogar ein richterlicher Bescheid über seine Betreuung lag vor. Versetzten wir Horst also in die Lage, mit seinem heutigen Wissen in die Vergangenheit zurückzukehren, was würde passieren ? Man weiß es nicht. Der Flashback gestern Nacht war so etwas wie eine Vorahnung davon, was ihn erwartete. Unzählige Filtermechanismen wirkten in seinem Kopf. Und die Filter waren ausgefallen, praktisch das ganze Universum war durch ihn hindurchgeflossen, man kann nicht mehr sagen ob in einer einzigen Nacht oder in Monaten. Aktives Abgammeln zählte zu Horst ungewöhnlichen Hobbies. Auch mit der Hygiene nahm er es nicht allzu genau. Er hatte etwas erlebt, das Kurt Vonnegut mit Akkulturation umschrieb, sowie Science Fiction gewissermaßen prägend für ihn gewesen war. Heute vormittag war er also vollkommen zweckfrei spazieren gegangen. Inzwischen knabberte es ihn nicht mehr an, wenn er Sirenen oder Glockengeläut hörte. Die frische Luft hatte uns gutgetan, wir hielten sein Immunsystem intakt und sorgten für die richtige Balance. Der Chef hatte uns gut instruiert, wussten wir also mittlerweile, was wir ihm zumuten konnten und was nicht. Gegen den allseits üblichen Erreichbarkeitswahn hatte Horst im Prinzip nichts einzuwenden, wenn es so einfach war, sich ihm zu entziehen.

Stunde um Stunde verbrachte Horst mit Nichtstun. In der Zwischenzeit piesakten wir ihn etwas, so dass sein Gewissen sich meldete und er endlich zur Kenntnis nehmen musste, dass noch Wäsche gewaschen werden wollte. Nein, tiefschürfende Fragen waren es nicht, die ihn bewegten. Er neigte halt lediglich dazu, die Sinnhaftigkeit des Bergwerkes in Frage zu stellen. Gewiss, es war ein unkündbarer Arbeitsplatz und besser als vierundzwanzigsieben in den eigenen vier Wänden, aber das machte es ja nicht erträglicher. Also beschäftigte er seine grauen Zellen mit etwas anderem. Dafür waren Teile von uns ihm durchaus dankbar. Und wie Horst fluchen konnte, wenn ihm ein Missgeschick widerfuhr. Gewöhnlich lag das an seiner eigenen Unzulänglichkeit, gewiss, aber das machte es in der betreffenden Stunde nicht erträglicher. Oh, manchmal schien es gar, wenn er einen triftigen Grund zu fluchen hatte, war er erst in seinem eigentlichen Element, so wie vorhin, als er den TFT schrottete, weil er beim Wäschetonne entfernen nicht daran gedacht hatte, dass der TFT lediglich angelehnt war. Das sahen wir ihm nach, aber nicht alle wären mit seinem Verhalten einverstanden gewesen. Heute nacht würden wir ihm einen wunderschönen Horrortrip bescheren. Ob luzide oder nicht bedarf noch einer finalen Abstimmung. —- So hatten wir also den Samen des Zweifels in Horst’ Bewusstsein eingepflanzt. Er zweifelte nicht direkt an seiner geistigen Gesundheit, nein, das nun gerade nicht. Aber sonst gab es nur wenig, an dem er nicht zweifelte. Horst hatte die alte Windmühle besucht. Sie schien ihm Zeugnis aus einer vergangenen Zeit zu sein, irgendwo zwischen dem dreizehnten und sechzehnten Jahrhundert. Manchmal trafen sich Paare dort, um zu heiraten. An diesem Tag kam sie ihm wie ein Raumschiff vor, die Flügel drehten sich und es rumorte in ihrem Inneren. Leise, mahlende Geräusche drangen an sein Ohr. Eines Tages würde er es wagen und sie betreten, aber heute, nein heute war nicht der richtige Tag dafür. Er machte sich auf den Nach-Hause-Weg.

Zu Hause angekommen setzte er sich vor seinen Schreibtisch und erledigte die liegengebliebene Steuererklärung für das vergangene Jahr. Es folgte eine halbe Stunde Müßiggang bei Kaffee, bevor der Postroboter ihn aus seinen Gedanken riss. Der neue TFT war angekommen. Er verkabelte alles ordnungsgemäß und fuhr das System hoch. Kommilitonen hatte er nicht, er war eine Art Einzelkämpfer und experimentierte mit künstlichen Intelligenzen herum. Wir hatten ihn ordentlich durcheinandergebracht mit unseren Ideen, so dauerte es seine Zeit, bis er die neuesten Erkenntnisse implementiert hatte. Den Rest des Tages ließ Horst ungenutzt verstreichen. Lediglich die Logfiles kontrollierte er noch.

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5110 (same procedure as every)

Herbst

die blätter fallen
die wolken ziehn vorüber
schatten der erinnerung huschen
übers gesicht, wie ein lächeln,
wie in den schlaf gestreichelt zu werden
oder jemand zu halten und gehalten werden
der kreislauf beginnt sich zu schließen
aber ganz vollendet wird es nie sein
das große spiel bildet sich ab
und spiegelt sich im kleinen wieder
ein spaziergang in der unendlichen weite des landes
die natur und die weisheit der zeit
lindern manche fast vergessenen schmerzen der seele
die wolken ziehen vorüber
und während die blätter
in die einsamkeit zu zweit schweben
fragt man sich

wie wird es werden ?

4686 (erstes Kapitel von Bernie)

Sternzeit 0999,5 fünf vor zwölf

Bernie das Biberratteneichhörnchen war aufgerufen, als verantwortlicher Staatsbürger des Tierreichs seine Stimme abzugeben. Nun verhielt es sich leider so, dass man lediglich das geringste von allen möglichen Übeln wählen konnte. Das war natürlich doof und unglücklich, aber gar nicht erst hinzugehen würde bedeuten, die Entscheidung den anderen zu überlassen. Zwar gab es diverse Wahl-o-maten und Entscheidungshilfen, aber die waren nur den Privilegierten mit einem Internetanschluss zugänglich. Davon war Bernie als obdachloser Sozialhilfeempfänger aber weit entfernt. Also überlegte er, wer ihm wohl ein zusätzliches Brötchen verschaffen könnte und wer am ehesten für Frieden und Gerechtigkeit sorgen könnte. Normalerweise war er sowieso dagegen. Also traf er seine Entscheidung erst in der Wahlkabine. Um 17hundert und eine halbe Stunde stand er also in der für ihn zuständigen Schule und las den Zettel. Mit den meisten Namen konnte er überhaupt nichts anfangen. Die Stimme ungültig zu machen schied völlig aus und einer rechten Splittergruppe wollte er nicht helfen. Da auch die diversen Spaßparteien ausschieden und er in der Bäckerei vor ein paar Tagen von einer neuartigen Stimmabgabemöglichkeit gehört hatte, drückte er also den Knopf in der virtuellen Wahlkabine, der seiner Stimme 90 Prozent Brötchenzuschlag verschaffen würde. Zufrieden kaufte er sich eine Tüte Chips und ein Sixpack und knallte sich vor den Fernseher im Arbeitslosenzentrum. Nun würde endlich alles gut werden.