4683 (herbst 96 21)

die blätter fallen
die wolken ziehn vorüber
schatten der erinnerung huschen
übers gesicht, wie ein lächeln,
wie in den schlaf gestreichelt zu werden
oder jemand zu halten und gehalten werden
der kreislauf beginnt sich zu schließen
aber ganz vollendet wird es nie sein
das große spiel bildet sich ab
und spiegelt sich im kleinen wieder
ein spaziergang in der unendlichen weite des landes
die natur und die weisheit der zeit
lindern manche fast vergessenen schmerzen der seele
die wolken ziehen vorüber
und während die blätter
in die einsamkeit zu zweit schweben
fragt man sich

wie wird es werden ?

4356 (some)

01 Zeitbeben, Kurt Vonnegut, Goldmann 2000, ISBN 9783442445073
02 Mann ohne Land : Erinnerungen eines Ertrinkenden, Kurt Vonnegut, Piper 2007, ISBN
9783492249287
03 Schon tot, Denis Johnson, Fest 2000, ISBN 9783828601215
04 Körpergeschichten. Die Abenteuer der Körpererfahrung, Andrea Olson, VAK Verlags
GmbH 1999, ISBN 9783924077341
05 Schloß Gripsholm, Kurt Tucholsky, Rohwolt 1950, Library of Congress (USA)
PT2642.U4 S313
06 El Loco – der Spinner. Roman aus Lateinamerika, Rohwolt Tb. 2000, ISBN
9783499149207
07 Einbruch in die Freiheit, Jiddu Krishnamurti, 1985, Library of Congress (USA)
B5134.K75 F7
08 Worte der Liebe. Erotische Zwiegespräche – Ein Elixier für Paare, Michael Lukas
Moeller, Rohwolt Tb. 1998, ISBN 9783499604331
09 Die Wahrheit beginnt zu zweit / Die Liebe ist das Kind der Freiheit, Michael Lukas
Moeller, Rohwolt Tb. 2002, ISBN 9783499614316
10 Per Anhalter durch die Galaxis, Douglas Adams, Wilhelm Heyne Verlag 1981, Library of
Congress (USA) PR6051.D3352H5
11 Das Restaurant am Ende des Universums, Douglas Adams, Heyne 1998, ISBN
9783453146983
12 Das Leben, das Universum und der ganze Rest, Douglas Adams, Heyne 1999, ISBN
9783453146051
13 Macht’ s gut und danke für den Fisch, Douglas Adams, Heyne Tb. 2011, ISBN
9783453407831
14 Einmal Rupert und zurück, Douglas Adams, Heyne 1995, ISBN 9783453082304
15 Der elektrische Mönch. Dirk Gently’ s holistische Detektei, Douglas Adams, Heyne
2001, ISBN 9783453199088
16 Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele. Dirk Gently’ s holistische Detektei, Douglas
Adams, Heyne 2002, ISBN 9783453210721
17 Der tiefere Sinn des Labenz, Douglas Adams, John Lloyd und Sven Bötcher, Heyne
2004, ISBN 9783453879607
18 Keine Panik, Douglas Adams / Neil Gaiman, Ullstein 1992, ISBN 9783548226774
19 Die Letzten ihrer Art. Eine Reise zu den aussterbenden Tieren unserer Erde, Douglas
Adams, Mark Carwardine, Heyne 1992, ISBN 9783453061156
20 Lachss im Zweifel, Zum letzten Mal Per Anhalter durch die Galaxis, Douglas Adams,
Heyne 2003, ISBN 9783453868649
21 Objektorientierte Programmierung mit Php 5, Matthias Kannengiesser, Franzis 2007,
ISBN 9783772362965
22 Maschinensprache für Einsteiger, Holger Schäkel, Data Becker 1991, ISBN 3890113036
23 mitp Trainingsbuch SuSE Linux Sicherheit, Jürgen Scheiderer, mitp 2001, ISBN
382660704X
24 HTML 4 (30-0-14-37-01), H. Schröder, Herdt 2000, Publikation Volkshochschule 669-
10322

4325 (Melancholie)

Ich sitze in der Pampe,
Melancholie,
Du alte Schlampe.

Mir ist eine Laus
über die Seele gelaufen;
die würde ich gern’
höchstpersönlich ersaufen.

Ich weiß bloß nicht, wie,
Melancholie.

Ich sitze an einem Tümpel,
Melancholie,
mitten im Dreck,
meine Gefühle
sind ein Haufen Gerümpel.
Kitten und kleben
hat keinen Zweck;
der Wurm ist drin,
das Zeug muß weg!

Ich weiß nur nicht, wie,
Melancholie.

Ich sitze auf einer Weide,
die nur noch einen Zweig hat,
Melancholie,
und leide.
Ich würde so gerne aufsteh’n
und geh’n
um wieder einmal jemand anderen
als Dich zu seh’n!

Ich weiß nur nicht, wie,
Melancholie.


aus Peter Torsten Schulz: Der olle Hansen und seine Stimmungen

4272 (untitled)

die blätter fallen

die wolken ziehn vorüber

schatten der erinnerung huschen

übers gesicht, wie ein lächeln,

wie in den schlaf gestreichelt zu werden

oder jemand zu halten und gehalten werden

der kreislauf beginnt sich zu schließen

aber ganz vollendet wird es nie sein

das große spiel bildet sich ab

und spiegelt sich im kleinen wieder

ein spaziergang in der unendlichen weite des landes

die natur und die weisheit der zeit

lindern manche fast vergessenen schmerzen der seele

die wolken ziehen vorüber

und während die blätter

in die einsamkeit zu zweit schweben

fragt man sich

wie wird es werden ?

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4152 (untitled, pretty old)

Was zählt der Augenblick, wenn es eine Ewigkeit dauert, den Schmerz zu verwinden ?

Was zählt ein süßer Kuß, wenn die Zeit danach unendlich bitter schmeckt ?

Was zählt das Feuer einer Nacht, wenn die Tage danach eisig und kalt sind ?

Was zählt das Wort, wenn die Taten eine andere Geschichte erzählen ?

Was zählen die Taten, wenn die Worte sie zunichte machen ?

Was zählt die Geborgenheit, wenn Einsamkeit sie ummantelt ?

Was nährt die Hoffnung, wenn die Realität sie zerstört ?

Warum eine kranke Seele pflegen, um sie dann dem Alleinsein zu überlassen ?

Warum sich klammern an eine längst verlorene Sache ?

FORTSETZUNG

Es zählt alles Es zählt, weil es uns am Leben erhält.

Der Augenblick zählt, weil er die Vergangenheit reicher macht.

Der Augenblick zählt, weil er der Phantasie Flügel verleiht.

Der Augenblick zählt, weil er alles ist, was wir besitzen.

Der Augenblick zählt, weil er alles ist, was wir in diesem Augenblick besitzen.

Der Augenblick ist das Fundament der Gefühle.

Der Augenblick ist vielleicht der letzte Schritt.

Der Augenblick ist vielleicht der letzte Eindruck, den Du bei mir hinterläßt, bevor Du gehst.

Der Augenblick ist es, den ich als Bild von Dir behalten möchte.

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4103 (aus aktuellem Anlass – Horst)

Normalerweise ist es dunkel, aber wir haben auch keine Augen in dem Sinne. Wir sind viele. Ein paar von uns leben im Mund, ein paar im Magen und im Darm, ein paar in den Adern, einige gar im Gehirn und der Blutkreislauf würfelt uns regelmäßig ordentlich durcheinander. Wir sind die unsichtbare Schutztruppe, die für die hormonelle und biochemische Gesundheit unseres Wirtes sorgt. Wir hatten uns immer vorgestellt, unser Wirt sei männlich, weiß und etwa 30, aber so genau wissen wir das natürlich nicht. Nennen wir ihn an dieser Stelle einfach einmal Horst. Er tat einiges, um uns auf Trab zu halten, das muss man sagen. Horst hatte heute eine große Menge Alkohol zu sich genommen, so dass wir einiges zu tun hatten, um diesen feindlichen Stoff wieder abzubauen. Er war auf dem Sofa eingeschlafen und wir hatten alle Hände voll zu tun. Molekül für Molekül wandelten wir um. Nein, maßvoll war das nicht gewesen. Wenigstens hatte er sein Essen bei sich behalten. Im Kopf waren einige von uns dabei draufgegangen. Wenn uns jemand gefragt hätte, hätten wir von einer richtigen Vergewaltigung des Körpers berichten müssen. Während Horst also seinen Rausch ausschlief, arbeiteten wir wie die wilden. Morgen würde er mit einem Kater erwachen, einen Kaffee und eine Zigarette zu sich nehmen, unter die Dusche gehen und sich dann an sein Tagwerk machen. Wir nahmen unseren Auftrag sehr ernst, hatten wir doch für das richtige Gleichgewicht zu sorgen und dafür, dass Horst nicht noch mehr Mist machte als unbedingt notwendig oder dass wenigstens sein Körper keinen größeren Schaden davontrug. Nachmittags war der Blutalkoholwert wieder im grünen Bereich. Wir sind so etwas wie die Feuerwehr. Während die Welt feierte, haben wir gearbeitet. Einige von uns konnten Horst immerhin so weit bringen, dass er am übernächsten Tag joggen ging. Da feierten die Endorphine eine richtige Party im Kopf. Während der anschließenden Dusche gingen einige von uns verloren. Beim folgenden Spiegelei bekamen wir endlich wieder Arbeit. Sogar wenn Horst schlief, waren wir aktiv. Wir bauten ihm Bilder, einen richtigen kleinen Film des vergangenen Tages ließen wir in seinem Kopf ablaufen. In der Regel sind wir gut organisiert. Wo unsere Schaltzentrale sich befindet, ist nicht so leicht auszumachen.

Wir kommunizieren in etwa so wie Ameisen oder Bienen. Eine Schwarmintelligenz. Horst war sich noch nicht einmal bewusst, wieviel er uns zumutete. Niemand weiß, ob er überhaupt unsere Anwesenheit erahnte. Mangel an Vitamin C war nicht das primäre Problem, so würde Horst wenigstens nicht an Skorbut sterben. Nun, gewiss trank er zu viel Kaffee und rauchte zu viel. All das bedeutete eine Menge Arbeit für uns. Wir hielten den Laden jedenweils so weit ganz gut am Laufen, denn wirkliche Drogen nahm Horst nicht mehr zu sich. Wir sind schon ganz gespannt, was er sich als nächstes einfallen läßt. Temporäre Verschiebungen sind eingetreten. Ein Flashback schüttelte Horst heute nacht. Oh was liefen da nur für komische Filme. Allein war Horst ins Bett gegangen, allein stand er wieder auf. Er arbeitete in so etwas Ähnlichem wie einem Bergwerk. Am Konsum von psychoaktiven Substanzen konnte es nicht liegen.

Wir hatten ihn nach Stunden wieder so weit, dass er eine Mahlzeit zu sich nehmen konnte. Danach wurde er regelmäßig müde. Uns dünkte irgendwie, wir müssten uns eine Lektion für ihn einfallen lassen. Wir schlossen uns mit dem Herrn des Universums kurz und der sandte uns ein Gehirnrindenkribbeln. Ein ganz leises nur, das Horst nur erahnen konnte, als er über die Straße ging und eine Sirene hörte. Aber es hatte gereicht, er war verunsichert. Als hätten wir ihm ein paar Antennen rausgezogen, bombardierten wir ihn fortan mit Denkanstößen. Wir mussten aufpassen, dass wir nicht übers Ziel hinausschossen. Nun wurde ihm also langsam bewusst, dass er auf der Suche war. Nein ihm war nicht wirklich klar, wonach. Langsam hatten wir ihn so weit, dass er Hilfe annahm. Ein Spaziergang, ein Kaffee, eine Zigarette, ein Gespräch. Er hatte angefangen. Seine biologische Familie schien ihm nicht der richtige Ort zu sein.

Fünfzehn Jahre später würde er darüber mit dem Kopf schütteln, dass diese Reise zu dem unbekannten Ziel so leise und langsam angefangen hatte. Doch heute wusste er davon nichts. Er begann, sich zu strukturieren. Er machte Trinkpausen. Er ließ seine Mitmenschen gewähren, wenn sie denn unbedingt untergehen wollten. Er suchte sich eine neue Familie. Er las. Er betete. Mit Meditation konnte er nichts anfangen. Gewiss, er hörte laute Musik und war cholerisch, aber er begann, zu unterscheiden zwischen Dingen, die er ändern konnte und Dingen auf die er keinen Einfluss hatte. Das war ein Anfang, klein genug.
—-
In all den Jahren ever since hatte Horst dazugelernt, vielleicht nur graduell, aber immerhin. Nun war er also Gefangener seiner eigenen Vergangenheit. Er wandte sich nicht mehr an Ärzte. Der Hölle entkommen hatte er nun also so etwas wie ein eigenes Leben. Das Bergwerk war der Ort, an dem er tagsüber rauchte. Das System hatte allzu gründlich von ihm Notiz genommen, sogar ein richterlicher Bescheid über seine Betreuung lag vor. Versetzten wir Horst also in die Lage, mit seinem heutigen Wissen in die Vergangenheit zurückzukehren, was würde passieren ? Man weiß es nicht. Der Flashback gestern Nacht war so etwas wie eine Vorahnung davon, was ihn erwartete. Unzählige Filtermechanismen wirkten in seinem Kopf. Und die Filter waren ausgefallen, praktisch das ganze Universum war durch ihn hindurchgeflossen, man kann nicht mehr sagen ob in einer einzigen Nacht oder in Monaten. Aktives Abgammeln zählte zu Horst ungewöhnlichen Hobbies. Auch mit der Hygiene nahm er es nicht allzu genau. Er hatte etwas erlebt, das Kurt Vonnegut mit Akkulturation umschrieb, sowie Science Fiction gewissermaßen prägend für ihn gewesen war. Heute vormittag war er also vollkommen zweckfrei spazieren gegangen. Inzwischen knabberte es ihn nicht mehr an, wenn er Sirenen oder Glockengeläut hörte. Die frische Luft hatte uns gutgetan, wir hielten sein Immunsystem intakt und sorgten für die richtige Balance. Der Chef hatte uns gut instruiert, wussten wir also mittlerweile, was wir ihm zumuten konnten und was nicht. Gegen den allseits üblichen Erreichbarkeitswahn hatte Horst im Prinzip nichts einzuwenden, wenn es so einfach war, sich ihm zu entziehen.

Stunde um Stunde verbrachte Horst mit Nichtstun. In der Zwischenzeit piesakten wir ihn etwas, so dass sein Gewissen sich meldete und er endlich zur Kenntnis nehmen musste, dass noch Wäsche gewaschen werden wollte. Nein, tiefschürfende Fragen waren es nicht, die ihn bewegten. Er neigte halt lediglich dazu, die Sinnhaftigkeit des Bergwerkes in Frage zu stellen. Gewiss, es war ein unkündbarer Arbeitsplatz und besser als vierundzwanzigsieben in den eigenen vier Wänden, aber das machte es ja nicht erträglicher. Also beschäftigte er seine grauen Zellen mit etwas anderem. Dafür waren Teile von uns ihm durchaus dankbar. Und wie Horst fluchen konnte, wenn ihm ein Missgeschick widerfuhr. Gewöhnlich lag das an seiner eigenen Unzulänglichkeit, gewiss, aber das machte es in der betreffenden Stunde nicht erträglicher. Oh, manchmal schien es gar, wenn er einen triftigen Grund zu fluchen hatte, war er erst in seinem eigentlichen Element, so wie vorhin, als er den TFT schrottete, weil er beim Wäschetonne entfernen nicht daran gedacht hatte, dass der TFT lediglich angelehnt war. Das sahen wir ihm nach, aber nicht alle wären mit seinem Verhalten einverstanden gewesen. Heute nacht würden wir ihm einen wunderschönen Horrortrip bescheren. Ob luzide oder nicht bedarf noch einer finalen Abstimmung.
—-
So hatten wir also den Samen des Zweifels in Horst’ Bewusstsein eingepflanzt. Er zweifelte nicht direkt an seiner geistigen Gesundheit, nein, das nun gerade nicht. Aber sonst gab es nur wenig, an dem er nicht zweifelte. Horst hatte die alte Windmühle besucht. Sie schien ihm Zeugnis aus einer vergangenen Zeit zu sein, irgendwo zwischen dem dreizehnten und sechzehnten Jahrhundert. Manchmal trafen sich Paare dort, um zu heiraten. An diesem Tag kam sie ihm wie ein Raumschiff vor, die Flügel drehten sich und es rumorte in ihrem Inneren. Leise, mahlende Geräusche drangen an sein Ohr. Eines Tages würde er es wagen und sie betreten, aber heute, nein heute war nicht der richtige Tag dafür. Er machte sich auf den Nach-Hause-Weg.

Zu Hause angekommen setzte er sich vor seinen Schreibtisch und erledigte die liegengebliebene Steuererklärung für das vergangene Jahr. Es folgte eine halbe Stunde Müßiggang bei Kaffee, bevor der Postroboter ihn aus seinen Gedanken riss. Der neue TFT war angekommen. Er verkabelte alles ordnungsgemäß und fuhr das System hoch. Kommilitonen hatte er nicht, er war eine Art Einzelkämpfer und experimentierte mit künstlichen Intelligenzen herum. Wir hatten ihn ordentlich durcheinandergebracht mit unseren Ideen, so dauerte es seine Zeit, bis er die neuesten Erkenntnisse implementiert hatte. Den Rest des Tages ließ Horst ungenutzt verstreichen. Lediglich die Logfiles kontrollierte er noch.

4017 (0913.4)

Sternzeit 0913,4

Heute haben wir alle einen mächtigen Schreck bekommen. Wir haben ein Wassergespenst gesehen. Und das kam so :

Frosch und Giraffe wollten die Taucherausrüstung einweihen und ein wenig von der Welt erkunden, in der der Delphin lebt. So stiegen sie in die Neoprenanzüge, schnallten sich die Sauerstoffflaschen um und setzten die Tauerbrillen mit dem Beatmungsgerät auf. Rückwärts ließen sie sich ins Wasser fallen und sanken langsam tiefer. Der Delphin war soo froh, endlich etwas Ablenkung zu erfahren und zeigte den beiden stolz einige Kunststücke. Als erstes machte er eine Wasserrolle. Um die Unterwasserwelt zu erforschen, mussten sie sich noch etwas tiefer sinken lassen. ‘Hier seht nur, ein Korallenriff ! Es lebt ! Vor diesem Fisch müsst Ihr Euch ein wenig in Acht nehmen, es ist eine Muräne. Wenn man sie aber nicht versehentlich bedroht, ist sie ganz friedlich.’ Es war sehr dunkel und sie konnten nur dank der auf die Masken montierten Taschenlampen sehen. Dann kam ganz unvermittelt das Wassergespenst. Lautlos schwebte es aus dem Hintergrund in ihr Blickfeld. Es war ungefähr vier Meter gross und flatterte etwas. Das heisst, wahrscheinlich hätte man es Flattern genannt, wenn es ein normales Bettuchgespenst gewesen wäre. Majestätisch und ganz langsam bewegte es sich fort und alles war vollkommen lautlos. Der Frosch erschreckte sich derart, dass er fast vergaß, zu atmen. Zur Verständigung machten der Frosch und die Giraffe einige fragenden Gesten in Richtung Delphin, der sich ja eigentlich am Besten auskennen müsste. Ein solches Gespenst hatte auch er allerdings noch nie gesehen. Deshalb entschied er sich, zur Sicherheit das Kommando zum Auftauchen zu geben. Als die drei wieder an ihrem Floß angekommen waren, sprang der Delphin so voller Freude, wieder in Sicherheit zu sein, einmal durch die Lüfte. Frosch und Giraffe schälten sich aus den Taucheranzügen und mussten dem Ameisenbär erstmal von ihren Entdeckungen berichten. Beim Abendbrot erzählte uns der Ameisenbär, wir könnten eventuell auch ein Tier gesehen haben, das sich Rochen nennt. Aber der Ameisenbär hatte ja keine Ahnung. Bestimmt wollte er uns nur beruhigen. Er saß ja den ganzen Tag über seinen Büchern und bekam von dieser, unserer wirklichen Welt nur die Hälfte mit. Wir wussten jedoch jetzt, dass wir beim Tauchen größte Obacht geben mussten und dem Erfahrensten unter uns 100-prozentig vertrauen mussten. Beim nächsten Mal wären wir vorbereitet und das Wassergespenst könnte uns nicht nocheinmal so einen aufregenden Schreck einjagen.
Leider konnten wir für die Nacht keinen Autopilot einstellen, denn der Delphin hatte Nachtwache. Deshalb banden wir das Ruder so fest, dass die Segel gut gefüllt waren und keine ungeplante Kursänderung uns aus der Bahn werfen konnte. Wir verließen uns ganz auf diesen seltsamen Typen, von dem der Ameisenbär uns immer erzählte.

3908 (herbst)

die blätter fallen
die wolken ziehn vorüber
schatten der erinnerung huschen
übers gesicht, wie ein lächeln,
wie in den schlaf gestreichelt zu werden
oder jemand zu halten und gehalten werden
der kreislauf beginnt sich zu schließen
aber ganz vollendet wird es nie sein
das große spiel bildet sich ab
und spiegelt sich im kleinen wieder
ein spaziergang in der unendlichen weite des landes
die natur und die weisheit der zeit
lindern manche fast vergessenen schmerzen der seele
die wolken ziehen vorüber
und während die blätter
in die einsamkeit zu zweit schweben
fragt man sich

wie wird es werden ?

3747 (dolphin)

Sternzeit 0923,0

So eine Delphinseele ist ein sehr zerbrechliches Gebilde. Ihr müsst wissen, einst hatte unser Delphin in einer Gemeinschaft mit anderen Delphinen gelebt. Diese Delphingruppe begleitete die Walfangboote westlich von Island. Delphine sind wunderschöne Geschöpfe und sie sind so leicht verliebt wie Schmetterlinge. Ein Delphin gehört in die Freiheit und nicht in ein rundes Wasserbassin, wo er durch das wiederkehrende Echo seiner Gesänge ständig durcheinandergerät. In so ein Bassin hatte unser Delphin nämlich seine Delphinpartnerin verloren, und seit Monaten kam er nicht über diesen Verlust hinweg. Deshalb wurde er so leicht melancholisch und schüttete sein Herz abwechselnd dem Frosch, dem Ameisenbär und der Giraffe aus. Dann wollte der Delphin wieder allein sein und schwomm eine halbe Seemeile voraus. Dass unsere Gemeinschaft zusammen weiterreisen wollte, stand jedoch außer Zweifel. Der Ameisenbär fand wunderbarerweise immer die richtigen Worte, um den unglücklichen Delphin wieder aufzubauen und ihn zu ermutigen. Dann machte der Delphin immer einen Luftsprung, sang ein Lied, dass er von den isländischen Walfängern gelernt hatte, und sei es noch so schief, und vergaß seinen Liebeskummer. Auch wenn unsere vier Gefährten es nur ahnten, las sich der liebe Gott jeden Abend das Logbuch durch und überlegte, welche Wunder er heute für seine heimliche Lieblingsfamilie auf Lager hatte. Meist schickte er lediglich eine leichte Brise, aber wenn er einen richtigen Sturm schickte – denn auch Stürme gehören zu einer Reise – war er sich doch sicher, dass der Ameisenbär in der Zeit seiner Unterweisung alles kapiert hatte, was man braucht, um ein guter Kapitän und Delphinseelsorger zu sein.

Während der nächsten Nacht schickte er deshalb eine Sternschnuppe für alle in Gefangenschaft lebenden Vagabunden, auch Kolibris und Mistkäfer.

https://www.serverproject.de/download/herr-der-gezeiten.htm