Kilgore Trout’ s Schöpfungsgeschichte

“Hör bitte auf zu essen, und paß auf”, sagte [Kilgore Trout]. “Es ist wichtig.” Er hielt inne, um das Oberteil seines Gebisses mit dem Ballen des linken Daumens gegen den Gaumen zu drücken. Etwa alle zwei Minuten lockerte sich das Gebiß dann wieder. Er war Linkshänder, wie ich, bis meine Eltern mich dazu brachten, Rechtshänder zu werden, wie auch meine Töchter Edith und Lily, bzw. wie wir sie liebevoll nennen, Edie Bucket und Lolly-boo, Linkshänder sind.
“Am Anfang war absolut nichts, und damit meine ich nichts“, sagte er. “Aber nichts impliziert etwas, so wie oben unten impliziert und süß sauer impliziert und Mann Frau impliziert und betrunken nüchtern und froh traurig. Ich kann es euch nicht ersparen, Freunde und Nachbarn, aber wir alle sind winzigkleine Hindeutungen innerhalb einer riesengroßen Hindeutung. Wenn’s euch hier nicht paßt, warum geht ihr dann nicht dahin zurück, woher ihr gekommen seit ?
Das erste Etwas, worauf all dies Nichts hindeutet”, sagte er, “bestand in Wirklichkeit aus zwei Etwassen, und zwar Gott und Satan. Gott war männlich. Satan war weiblich. Sie deuteten aufeinander hin und waren infolgedessen gleichrangig in der sich nun entwickelnden Machtstruktur, welche hinwiederum auch nichts anderes war als eine Hindeutung. Was auf Macht hindeutete, war Schwäche.

Gott schuf Himmel und Erde”, fuhr der alte, längst vergriffene Science-fiction-Autor fort. “Und die Erde war formlos und wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Das hätte Satan auch gekonnt, aber sie fand das eher blöd, Aktionismus um seiner selbst willen. Wozu ? Zunächst sagte sie nichts.
Aber Satan begann sich Sorgen um Gott zu machen, als Er sagte ‘Es werde Licht’, und es Licht ward. Da fragte sie sich doch: ‘Was zum, äh, Geier, glaubt Er, was Er da macht ? Wie weit will Er noch gehen, und erwartet Er etwa, daß ich ihm bei diesem ganzen irrwitzigen Kram behilflich bin ? ‘
Und dann war die Kacke wirklich am Dampfen. Gott erschuf Mann und Frau, wunderschöne kleine Miniaturen von sich und ihr, und ließ sie laufen, um zu sehen, was vielleicht aus den beiden würde. Der Garten Eden”, sagte Trout, “könnte als Prototyp für das Kolosseum und die römischen Zirkusspiele angesehen werden.

Satan”, sagte er, “konnte nichts, was Gott gemacht hatte, wieder rückgängig machen. Immerhin konnte sie versuchen, seinen kleinen Spielsachen das Leben weniger schmerzensreich zu gestalten. Sie konnte sehen, was Er nicht sah: Am Leben sein hieß, sich entweder vor Langeweile oder vor Angst in die Hose scheißen. Also füllte sie einen Apfel mit allen möglichen Ideen, um wenigstens die Langeweile zu mildern, zum Beispiel mit Regeln für Karten- und Würfelspiele und wie man fickt und Rezepte für Bier und Wein und Whiskey und Bilder von verschiedenen Pflanzen, die man rauchen kann, und so weiter. Und Anweisungen, wie man Musik macht und singt und richtig irre tanzt, richtig sexy. Und wie man Gottes Namen im Zorn in den Mund nimmt, wenn man sich die Zehen angestoßen hat.
Satan ließ Eva den Apfel durch eine Schlange überreichen. Eva biß ab und gab ihn an Adam weiter. Er biß ab, und dann wurde gefickt.

Ich muß allerdings zugeben”, sagte Trout, “daß einige der Ideen in dem Apfel bei einer Minderheit derjenigen, die davon gekostet hatten, katastrophale Nebenwirkungen zeitigten.” Es sei hier festgehalten, daß Trout selber weder Alkoholiker noch Fixer, noch Spieler, noch Sittenstrolch war. Er schrieb lediglich.
“Satan wollte ja nur helfen, und in vielen Fällen tat sie das auch”, schloß er, “Und ihre Akte, was die Verbreitung von Patentrezepten mit gelegentlichen gräßlichen Nebenwirkungen betrifft, sieht keineswegs schlechter aus als die der angesehensten pharmazeutischen Firmen der Gegenwart.”
—-
Aus: Kurt Vonnegut – ‘Timequake’ [Zeitbeben], Carl Hanser Verlag München Wien 1998, ISBN 3446195084, übersetzt von Harry Rowohlt

Max Goldt – Blödmann

Wenn man durch diese Stadt geht – oder, wenn es sein muß, auch durch eine andere –, trifft man leider alle naslang einen Blödmann, der sich wahrscheinlich auf dem Weg in ein Lokal befindet, wo sie dann alle sitzen und selbstgedrehte Zigaretten rauchen, die Blödmänner. Blödmann wie Blödfrau trinkt Weizenbier, zu viert, zu fünft, zu sechst, an einem runden Tisch mit einem Aschenbecher in der Mitte. Aus Lautsprecherboxen dringt Lautstärke, und statt daß mal ein Blödmann horcht und endlich feststellt, daß da nichts Hörenswertes, sondern Dummes dröhnt, lassen sie ihrerseits aus ihren Mündern noch zusätzlich Lautstärke quellen. Was gibt es da wohl zu bereden? Werden da Meinungen ausgetauscht oder – was wohl besser wäre – Kenntnisse und Ideen? Aber nein, denn sie alle haben dieselbe Meinung und dieselben Ideen, da sie alle die gleiche Zeitung lesen. Noch nie ist es in einer Blödmannstube vorgekommen, daß sich einer erhob und rief: «Stoppt die Lautsprecher! Tötet die miese Musike! Ich habe eine Idee!» Und wenn das mal passierte: Keiner würde hinhören. Vernarrt sind sie, die Blödmänner, in das Gemisch aus Qualm und Lautstärke – Atmosphäre nennen sie’s (Blödmänner verwechseln alles) – und wünschen, nicht von Ideen behelligt zu werden. Und solang man so duldsam wie bisher mit ihnen umspringt, wird sich da kein Jota ändern, oder vielleicht doch – ja, jetzt: Ich pack mir einen Blödmann an der Gurgel oder am Revers und sag ihm mutdurchdrungen folgendes: «Schweig mal drei Minuten, Blödmann! Kannst du das? Du verwechselst alles miteinander, rauchst selbstgedrehte Zigaretten, in Deutschland ist es dir zu kalt, und zu jedem Schund hast du eine deiner berühmten eigenen Meinungen; kurz gesagt: Du bist ein Blödmann. Ein lausiger Lauthals, Dreinredner und Lautsprecher-Typ. Was deine Meinungen angeht, laß dir gesagt sein, daß es voll und ganz ausreicht, wenn ich mir die Mühe mache, auf Standpunkten zu stehen. Sei dankbar dafür, daß ich diese Arbeit übernehme, applaudiere mir und schweig ansonsten, zu mehr taugst du nicht!» So redete ich eben, Adressat war ein Blödmann, der jetzt glotzt. Ich greif mir den Verdatterten, schleife ihn in meine Wohnung und fahre natürlich unverzüglich mit meinem berechtigten Levitenlesen fort:
«Was bibberst du, Blödmann? Ist es dir zu kalt? Ich habe 18 Grad hier, und das ist gerade richtig. Ich sage dir: In Deutschland ist es nicht zu kalt. Das Wetter ist immer gerade richtig. Die Sonne scheint immer im rechten Moment, und wenn es mal regnet oder schneit an einem Tag, dann heißt das eben, daß Sonnenschein an diesem Tage nichts zu suchen hat bei uns und daher freundlicherweise und logischerweise wegbleibt. Man muß dem Wetter immer beipflichten. Blödmänner begreifen das natürlich nicht. Kaum daß sich bei ihnen ein bißchen Geld versammelt hat, lassen sie alles stehen und liegen und fahren in kochendheiße Länder mit riesigen Insekten und bekloppten Religionen, wo regelmäßig überfüllte Fähren kentern. Dort leben sie für ungeheuer wenig Geld und prahlen dann zu Haus damit, als ob es ihr Verdienst wär oder eine Leistung, für fünf Mark zu übernachten oder sich für zwei Mark satt zu essen, incl. Getränke. Am liebsten würden sie das ganze Jahr hindurch ‹da unten› bleiben. Je nun, das liebe Geld. Blödmänner haben immer kein Geld. Wer keines hat, muß sich halt was verdienen; und wenn man es nicht gleich wieder ausgibt für unnütze Autos und Urlaubsreisen, dann wird es mehr und mehr, und irgendwann ist man reich. Was denn, du willst widersprechen und mal wieder anders meinen? Ich will nichts hören. Wo hast du sie nur alle zusammengeschnorrt, deine ewigen Meinungen über dies und das und jenes? Ich kann es mir schon denken! In Lokalen, wo es nach selbstgedrehten Zigaretten und sogenannter Kreativität riecht und wo hämestrotzende Zeitungen ausliegen, gefüllt mit Neins und kessen Meinungen, die du und deine Besserwisserkompanie sich gierig einverleiben, bis ihr prallvoll Meinung seid. Billige Pralinen! Was, schon wieder Widerworte? Das hört jetzt auf. Hier habe ich ein Messer, da auch eine Axt, und hier ist noch ein dicker fetter Vorschlaghammer. Du kannst wählen. Ach was, ich frag dich gar nicht erst, du hast genug gesagt in deinem Leben.»

Ja, Blödmann, jetzt liegst du in meinem Bett, wo ich ausgerechnet so einen wie dich nun wirklich nicht gern haben wollte. Doch jetzt bist du darin am besten aufgehoben. Sprichst du? Leise sagst du, du müßtest jetzt wohl sterben. Wo hast du das nun wieder her, was ist wieder das für eine Meinung? An so was stirbt man doch nicht gleich. Aber Blödmänner jammern halt immer herum. Still, Blödmann, Lauthals, Jammervogel, still ist es geworden. Die Lautsprecher sind abgestellt, ich höre keine mehr. Miese Musik mag es irgendwo weit fort noch geben, doch ich höre keine mehr. Ist es nicht schön, wenn es still ist, Blödmann? Hast du Hunger oder Durst? Nein? Ist es nicht schön, auf der Bettkante zu sitzen, neben sich einen, den langsam die Kräfte verlassen? Ist das schön, Blödmann? Soll ich mich zu dir legen? Was meinst du, Blödmann?
—-
Aus: Max Goldt – Ungeduscht, geduzt und ausgebuht, A-Verbal-Verlag, B. (März 1991) ISBN 978-3889990068

1363/Maden im grossen Apfel

Nachwort zu Flood (dt.:Kata) von Andrew H. Vachss (geschrieben von Oliver Huzly) [est.1985] {Anfang}
—-
Von Beginn an hatte Amerika seine Dämonen. Sie traten an den verschiedensten Orten und bei einer Vielzahl von Autoren in Erscheinung: in einsamen Siedlungen bei Charles Brockden Brown, in imaginären europäischen Schlössern bei Edgar Allen Poe, in Indianerlagern bei James Fenimore Cooper, in Dörfern in New England bei Nathaniel Hawthorne und in Häfen und auf Südseeinseln bei Herman Melville. Aber erst mit Hammet wandelten diese Dämonen auf einmal in den Straßen der Städte und mieteten billige Zimmer in schäbigen Hotels. Sie ergriffen Besitz von diesen finsteren Straßen, gleichzeitig realerer Realismus und fernere Phantasie als je zuvor. Parallel zum romantischen Mythos wurde ein kohärentes Bild von Amerikas Kehrseite vermittelt.

Was damals recht war, ist heute noch billig. Nur daß diese finsteren Straßen neue, unbekannte Formen der Dunkelheit angenommen haben und mit ihnen auch ihre Beschreibung eskaliert. Das urbane Leben wird mit unterschiedlichen Graden von Schonungslosigkeit abgebildet, und diese Abbildungen haben es schwer, denn fast alles hat man schon einmal gehört, gelesen oder gesehen, bisweilen gar erlebt und gerade daher als phantastisch abgetan. Was plausibel erscheint, vernünftig gar, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erlogen oder nicht existent und mehr und mehr kristallisiert sich ein fundamentales, hartgekochtes Gesetz heraus: Je unglaublicher etwas erscheint, desto höher ist die Chance, daß es eine reine Form von Wahrheit ist und schon daher nicht geglaubt werden kann. Und 95 Prozent aller Schreiber bekommen ihre Ideen und ihre Kontakte mit der Wirklichkeit von den fünf Prozent, die aus dem Leben schöpfen, die buchstäblich am Leben sind.

Der amerikanische Detektivroman hat Partei zu ergreifen: Er gehört nicht dem Gewinner, ist Bestandteil des amerikanischen Alptraums, gehört den Verlierern, Versagern, den Außenseitern, deren einzige Überlebenschance im Verlieren besteht. Wie sonisch die pure Energie und Geschwindigkeit an der Oberfläche auch sein mag, dahinter steht Melancholie, Wehmut, Resignation und Fatalismus – bisweilen geschickt getarnt als Feinschmeckerküche.

Von den erwähnten fünf Prozent wiederum gelingt es nur einem Bruchteil, einen veritablen Rhythmus zu finden, mithin also nicht vom Leben erschlagen zu werden. Und dann und wann gerät man dann tatsächlich an ein Buch und an einen Autor, die tatsächlich jene alte, neue Schärfe besitzen, auf jenem schmalen Grat wandeln, diese finsteren Straßen begehen und sie in einem wieder neuen Licht erscheinen lassen. Man wird elektrisiert von ihrem manischen, dunklen, rasenden Puls und betritt erschreckt und fasziniert eine Welt, die nun wieder noch realer fantastisch geworden ist.

Was für eine Welt kann das sein, fragt man sich schon nach wenigen Seiten von Andrew Vachss’ erstaunlichem Debütroman. Ich-Erzähler und Privatdetektiv Burke scheint irgendwie neben, außerhalb und vor allen Dingen unterhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu existieren. Er hat seine statistische Existenz systematisch ausgemerzt, vernichtet sie täglich von neuem und betreibt eine rege Desinformationspolitik, die dazu dient, selbst diese Vernichtung nonexistent zu machen. Die Bruchstücke seiner Lebensgeschichte, die wir häppchenweise vorgeworfen bekommen, lassen Rückschlüsse darauf zu, daß er Zuchthäusler, Kleinstgauner, Söldner, Dressman und vieles mehr war. Er scheint Gründe genug zu haben für seine Überlebensstrategien, die von einem treuen neapolitanischen Kampfhund über eine strikte Vermeidung direkter Wege und unmanipulierter Telefongespräche bis hin zu an Dagobert Duck erinnernde Sicherungsmethoden so ziemlich alles beinhalten, was illegal, paranoid und denkbar ist. Überleben und Rache sind alles. Flood, eine kleine Frau mit einer Vorliebe für asiatische Kampfsportarten, heuert ihn an, den Mörder der Tochter ihrer besten Freundin zu finden. Die Suche führt tief in einen madenverseuchten Sumpf von Kinderpornographie, Großstadtdschungel und Endzeitstimmung. Wir lernen ein New York kennen, das mehr an John Carpenters >>Klapperschlange<< erinnert als an Verbrechensreportagen im Fernsehen. Die Wirkung des Ganzen ist… tatsächlich, ja journalistisch.

Die unglaubliche Depraviertheit der Stadt wirkt authentisch. Die bizarren, surrealen Charaktere, wie Max, der taubstumme mongolische Straßenkrieger, und der Maulwurf, ein Elektronik-Genie, das unter einem Schrottplatz inmitten von unzähligen Hunden lebt, wirken… authentisch, echt, real. Wie real ? Warum ?

—-
{([Auszug, der Anfang des Nachwortes von Oliver Huzly])}
—-
bei vorhandener Muße vervollständige ich das vielleicht beizeiten…