stimmenrausch 2014-07-10

Letzte Gerechtigkeit im Urteil über den Weltkrieg 1914-16 mag hundert Jahre später dem leidenschaftlichen Forscher möglich sein, dem das von Generationen gesichtete Material mit allen seinen Quellen und dazu der Überblick über die politischen und kulturellen Folgen der Katastrophe zur Verfügung steht. Ich erstrebe mit meiner Beschuldigungsschrift nicht den Ruhm eines unparteiischen Geschichtsschreibers. Denn mir ist daran gelegen, auf die Resultate und Folgen des Krieges zu meinem Teil einzuwirken, damit nicht die Leute, aus deren ehrgeizigen oder selbstsüchtigen Interessen das ganze Unheil entstanden ist, und deren ökonomische und politische Macht die Dauer des Schreckens und des Jammers ins Maß- und Sinnlose zu verlängern gewußt hat, – damit diese Personen nicht auch noch als Architekten der deutschen Zukunft Unglück über Unglück zu häufen und als Krönung und Abschluß des zweiten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung eine deutsch-militärische Schreckensherrschaft über die Zivilisation und Gesittung Europas aufzurichten befugt werden.

Erich Mühsam, zum 80sten Todestag;
aus: “Abrechnung” (Abhandlung zur Kriegsschuldfrage), 1916;
in: Erich Mühsam – Auswahl aus seinen Werken. Hrsg. von Nina Pawlowa. Moskau 1960: Verlag für fremdsprachige Literatur, S. 112-127.
auch wiedergegeben in: Erich Mühsam. Briefe an Zeitgenossen Band 2 – Materialienband. Berlin 1978: Verlag Klaus Guhl

auszug liegt hier erstmals als digitalisat vor und jede(r) ist aufgefordert, über das motiv nachzudenken, und dies mausend und pausend weiterzugeben.

“Sie haben die neue Wehrmacht aufgebaut – nach zwei Weltkriegen zum dritten Mal. Sie beziehen Pension und tragen ihre Hitler-?Orden weiter, denn sie haben ja wohlerworbene Ansprüche, an den Staat, der schon wieder dabei ist, seine jetzige Wehrmacht weltweit einzusetzen. Weltweit!”

Emil Carlebach, zum 100sten; aus seiner Ansprache am 9. April 1995 zum 50. Jahrestag der Selbstbefreiung auf dem Appellplatz in Buchen­wald

stimmenrausch 2014-07-09

Sich-Erinnern, um vergessen zu können. Die Vergangenheit, an die ich mich erinnern kann, habe ich bewältigt, sie ist dadurch Erfahrung geworden; die andere Vergangenheit ist mir entfremdet und kann mich überwältigen.
aus: “22 Tage oder Die Hälfte des Lebens”, 1978

Nur wenn wir das Einzelne verallgemeinern, aus dem Einzelnen das Allgemeine ziehen, können wir lernen, d. h. Erlebnisse in Erfahrungen umschmelzen, und nur wenn wir das Einzelne richtig, d. h. seinem objektiven Wesen gemäß verallgemeinern, können wir erfolgreich lernen und unseren Erfahrungen vertrauen.
aus: “Wandlung. Wahrheit. Würde. Aufsätze und Gespräche 1964 bis 1981”, 1985

Franz Fühmann, zum 30sten Todestag

“Der Tod Gustloffs konnte die Nazis nicht ändern, aber ich hoffte, daß meine Tat die Juden ändern würde.”

David Frankfurter, zum 105ten; zitiert nach Der Spiegel 30/1982

stimmenrausch 2014-07-08

es war ja nicht alles schlecht… im deutschunterricht

Gesang der Toten (1915)

Es dorrt die Haut von unsrer Stirn,
Es nagt der Wurm in unserm Hirn.
Das Fleisch verwest zu Ackergrund,
Staub stopft und Erde unsern Mund.
Wir warten.

Das Fleisch verwest, es dorrt das Bein,
Doch eine Frage schläft nicht ein,
Doch eine Frage wird nicht stumm
Und wird nicht satt: warum? warum?
Wir warten.

Staub stopft und Erde uns den Mund,
Doch unsre Frage sprengt den Grund
Und sprengt die Scholle, die uns deckt,
Und ruht nicht, bis sie Antwort weckt.
Wir warten.

Wir warten. Denn wir sind nur Saat.
Die Antwort kommt, die Antwort naht.
Weh, wen sie trifft. Heil, wem sie frommt.
Die Antwort zögert, doch sie kommt.
Wir warten.

folglich später…

Dazu kommt, daß viele Schriftsteller mehr als andere Exilanten unter den läppischen kleinen Miseren leiden, aus denen der Alltag des Exils sich zusammensetzt.
Die ökonomischen Schwierigkeiten und der aufreibende Kampf mit Nichtigkeiten, die nicht aufhören, sind das äußere Kennzeichen des Exils.
aus: “Arbeitsprobleme des Schriftstellers im Exil” (1943)

Lion Feuchtwanger, zum 130sten

“umarme die Luft, geh, ohne Grenzen
winke ihr das letzte Mal zu
und ich setze mich hin
und über mir ein jubelnder und winkender Wind
alle auf! Und ich versuche zu zaubern
Liebeserklärung an den Wind
auf! Ihr Bäume, jetzt werdet ihr mein Weg sein
Gedanke verschone mich
daß ich kein Ziel nennen kann”

Vlado Kristl, zum 10ten Todestag; spontan gesprochenes Gedicht aus dem Film “Diese Gedichte”, 1975; hier zitiert nach Fritz Göttler und Markus Nechleba

stimmenrausch 2014-07-05

crackhead, abgesuckelt

schaut von allen seiten
wahrscheinlich nur der zufall
daß diese fascho-modedroge*
leidenschaftliche poesien 1es
spd-technokraten zernichtet
und diese seine partei vornean
uns vielen undemokratischen übeln
überantwortet indem ihre organfortsätze
gegen bedürfnisse und erklärten willen
einer mehrheitsbevölkerung regieren:
dem vernichtenden kapitalmarkt
dem krieg und seinem plural
einem mordswaffenhandel
dem überwachungsstaat
dem konzernestaat
dem freihandel
dem fracking
den gen-giften
der propaganda-zwangsabgabe
dem verlogenen arbeitsplätzedogma
geschwächter bildungs- und gesundheitsversorgung
unreflektiertem stellungbeziehen in internationalen konflikten
diese polyticks entsprechen haarklein den größenwahnstrukturen
die dauergebrauch von macht & methamphetamin in die hirne schleift aha
das besonders toppt die ohnehin morbiden ausformungen einer christlich-alkoholisierten gesellschaft

* ja, danke liebe freischärler, eine droge selbst ist nicht schlecht… aber das sagen sie von waffen auch. es sind fast immer die falschen händchen…

Stimmenrausch

torfalk II oder olof-palme-drohn

die europäische drohne,
wie wird sie benannt werden?
nach einem friedensnobelpreisträger?
um auch zögerliche sozialdemokraten
für die höhere gewalt zu gewinnen,
schlage ich vor, wir taufen die erste ganz
feierlich vor ihrer jungfernexekutionsmission
gegen radikalfundamentale überzeugungstäter
bzw. jeden gegner (d.h. terrorkämpfer)
oder penetranten wirtschaftsasylanten.
“FEK Willy-Brandt Unbemannt”.
dieser fliegende einsatzkörper stößt im richtigen
moment aus der deckung, ohne daß ein killender joystick-
wichser befürchtet, verantwortung übernehmen zu müssen.
der integral-analoge humanroboter übernimmt die funktionen
greifer, richter, henker in einer person ohne lästigen prozess
und sitzt dann morgens unerkannt neben uns beim kaffee.
den schreibtischtäter an der todesspritze zu immunisieren,
ist die genialste angriffsmoralaufrüstung seit trojanern und nazis.
unangreifbare, schlachthofmäßig klinischste ethische drecksarbeit,
hat die nicht einen sauberen namen verdient?

Quelle: Stimmenrausch/Berlin 2014-07-02