one or two O’ s

Besser wir würden uns einige Tage bedeckt halten, bis wir Misses X identifiziert hatten. Es bestand gewiss kein allgemeines Interesse an unserer Mission, hatten wir doch lediglich vom Ameisenbär einen Auftrag bekommen. Wir würden einige retten, aber all das war vollkommen nutzlos, wenn auch nur einer oder eine verlorenging. Der Frosch kam von seiner Außenmission mit dem weißen Fahrrad zurück und berichtete, er habe viele allein, aber auch einige Familien gesichtet. Wir versammelten uns ums Bassin. Der Delphin sprach ihre Sprache. Und er übersetzte für uns. Viele geschundene und geknechtete Seelen waren durch diverse Grenzerfahrungen hindurchspaziert, und all das Böse und nicht verstehbare hatte Spuren hinterlassen. Aber wir würden uns die Fäkalsprache nicht aneignen. Angst und Einsamkeit schienen die beiden Grundprobleme zu sein. Wir stiegen einer nach dem anderen zum Delphin rein. Und dann wuschen wir uns, wir begannen mit den Füßen, schruppten uns gegenseitig die Rücken, und wer etwas wie eine Frisur trug, wusch sich auch die Haare und die Ohren. Wir hatten nur ein Handtuch, aber das war blau und hatte uns schon beim Pangalktischen Donnergurgler gute Dienste geleistet, würden wir uns also auch beim Abtrocknen abwechseln müssen. Ein Resummee des Sternjahres zu ziehen, nein, das trauten wir uns nicht, zu viel war geschehen und zu viele Stunden hatte Bernie fluchend in seinem Tigerkäfig verbracht. Wie gut, dass er inzwischen zu uns gestoßen war, zehrten wir doch immer noch von der alten Geschichte von dem Mann mit Hut. Würden wir weitere Mitstreiter aquirieren müssen ? Wo war die Delphingeliebte ? Was würden die Leute ohne Familie tun ? Warum herrschte soviel Gewalt ? War es besser zu lügen oder zu schweigen ? Hätten wir genug zu essen und zu trinken ? Was wenn wir nicht zurück nach Rio de Janeiro und dann nach Enger fanden ? Würden wir den Kindern Geocachen erklären können ? Half denn wenigstens die Milch ? Fragen über Fragen. Der Octopus legte Dub auf, dann blieb für die meisten von uns immer die Zeit stehen. Der Forscher würde nach wie vor einiges zu tun haben. Selbst der Grizzly sprach inzwischen leiser als sonst. Wir verneigten uns. Dann das Logbuch. Ahornfarn.

Herr K. geht

Herr K. verließ das Haus um 6 Uhr dreißig wie an jedem Morgen.
Er hatte seine Aktentasche und einen Regenschirm dabei. Es war Herbst.
Regen war zu erwarten. Herr K. war Anfang 60 Jahre alt und auf dem Weg ins Büro.
Er arbeitete in der Verwaltung eines Stromversorgungsunternehmens, das Strom aus
regenerativen Energieformen gewann. Noch regnete es nicht.
Seinen BMW mußte er letzte Woche verkaufen, da er das Geld dringend zur Begleichung von
alten Schulden brauchte. Er bog um die Ecke der Kreuzung, an der ein altes, rotes Backsteingebäude stand, das früher einmal eine Schule war und jetzt leerstand.
Eine tote Taube lag auf dem Bürgersteig.
Eigentlich nichts besonderes, aber für Herrn K. änderte sich in dem Moment, als er sie sah
einiges, um nicht zu sagen alles. Eine ganz alte, fast vergessene, verdrängte Erinnerung aus
seiner Jugendzeit stieg in ihm auf und er konnte sich nicht dagegen wehren.
Das Erlebnis, an das er denken mußte, lag mindestens vierzig Jahre zurück und die
Erinnerung daran war der Macht der Gewohnheit, dem Alltag, dem ganz normalen Wahnsinn
der Büroarbeit gewichen.
Als Herr K. jung war, war er ein Punk.
Für diejenigen, die mit dem Begriff `Punk´ nichts mehr oder noch nichts anfangen können,
muß gesagt werden, daß Punk sein mehr bedeutete als kaputte Hosen, bemalte Leder-jacken, Dosenbier und gefärbte, chaotische Haarschnitte. Man unterstellte ihnen oft
`No-Future´-Einstellungen, Fuck Society. Aber die Punks damals hatten auch Werte, die ihnen wichtig waren. Sie teilten ihr letztes Bier mit einem wildfremden Menschen, der um die
Ecke kam, sich zu ihnen setzte und einfach zuhörte, erzählte, oder schweigend mittrank.
Der junge Herr K. war derjenige, der um die Ecke kam und sich dazusetzte.
Ein Typ hatte eine verletzte Taube in den Händen und beschützte sie oder er wollte einfach nicht einen Backstein nehmen und sie plattmachen. Sie würde in der nächsten halben Stunde sowieso sterben. Aber für diesen Typen war es lebenswichtig, diese Taube in Ruhe sterben zu lassen.
Den Grund dafür erzählte dieser Typ – nennen wir ihn Martin – dem jungen Herrn K.
Es war eine lange, schwer zu verstehende, anrührende, chaotische und unglaubliche
Geschichte. Martin erzählte noch, als die Taube schon lange tot war, die Leute um sie herum
kamen und gingen, und als der Sicherheitsbeamte um 22 Uhr den Platz am Brunnen räumte,
erzählte Martin immer noch. Sie waren beide inzwischen völlig Hacke, das heißt besoffen.
Der junge Herr K. mußte Martin richtiggehend abwimmeln. Martin wollte, daß der junge Herr K. mit zu seinem Stammplatz kam an dem er Platte machte, das heißt er war obdachlos.
Aber Herr K. hatte eine Wohnung. Er hatte ein Zimmer in einer WG und wollte nur noch ins
Bett, obwohl ihn die Geschichte doch gefesselt, fasziniert hatte. Aber die Wirkung des
Alkohols war stärker.
Als Herr K. nun die tote Taube sah – wir sind wieder zurück im 21. Jahrhundert – fiel ihm ein,
daß er gestern eine ungewöhnliche Todesanzeige in der Zeitung gelesen hatte.
Sie lautete : # für Martin, den Ex-punk
Herr K. hatte sich nichts besonderes dabei gedacht. Ein Spinner macht sich einen Scherz, hatte er gedacht.
Doch als er nun die Taube sah, setzten sich fragmentarische, bruchstück- und nebelhafte
Erinnerungen zusammen.
Herr K. schmiß seine Aktentasche und den Regenschirm weg und ging auf Wanderschaft.
Er ging und ging und ging.
Es begann zu regnen.