Use/Abuse

Sternzeit fünf nach zwölf

Als Opfer von Gewalt in der Familie und Vachss-Leser versuche ich einen Aufsatz über emotionalen Missbrauch, der über eine reine Reproduktion des Gelesenen hinausgeht.

Emotionaler Missbrauch ist die systematische und strukturelle Verkleinerung des Gegenübers, die Reduktion auf ein Objekt unter Anwendung von physischer, emotionaler oder psychischer Gewalt. Hier sind nicht gelegentliche, sondern fortgesetzte Schläge gemeint. Kinder spüren sehr genau, wann jemand die Grenze zwischen Ermutigung, Belehrung bzw. Androhung von Gewalt oder Erpressung überschreitet. Niemand ist jedoch reines Opfer seiner Sozialisation. Peer-Groups erlangen heute früher Bedeutung als in den siebziger und achtziger Jahren, Gewalt gab und gibt es jedoch schon immer und eine Änderung ist nicht in Sicht. Alle Antennen rausgezogen, ständig auf der Hut vor Gefahr, ein Hot-Spot auf Andersartigkeit ausgerichtet, auf der Suche nach Schutz und Wahrgenommensein, das können die Folgen sein. Gewiss ist emotionale Gewalt noch eine Art schillernder als direkte sexuelle Gewalt. Wenn man missbraucht wurde, hat man wenigstens jemanden, den man hassen kann. Wie bereits an anderer Stelle vermerkt, gilt es jedoch eine Grenze zwischen krank und böse zu ziehen. Wie das Wort ‘Soziopath’ hergibt, sind soziale Beziehungen nur schwer aufzubauen und noch schwieriger aufrechtzuerhalten. Identifikation mit Randgruppen und ein tiefsitzendes Misstrauen selbst gegenüber nächsten Angehörigen, Therapeuten, Ärzten, Pflegern, Betreuern und jedweder Form von Autoritäten können die Folge sein. Niemand ist jedoch *nur* Opfer. Warum werden manche Heiler, manche Täter, fragt Vachss an einer der entscheidenden Stellen ? Das Böse ist nicht genetisch bedingt. Gewiss ist niemand zum Drogenmissbrauch verdammt. Ob man Sexualstraftäter therapieren kann oder nicht, kann von dieser Stelle nicht beurteilt werden, hier fehlt Erfahrung. Manche gehören sicher für immer hinter Gitter. Das Fatale an Emotionen ist ihre Direktheit, ein Ausgeliefertsein an erlernte Mechanismen ist nur schwer umzuprogrammieren.

Im Erwachsenenalter hat man Mittel und Wege an die Seite gestellt bekommen, Angst, Scham und Wut zu sublimieren. Warum nun ist der Abgrund doch in jeder Sekunde präsent ? Wie diese tiefen Gräben aus Misstrauen und Negation überwinden ? Wie Hilfe erfahren und Hilfe weitergeben ? Wie aus Fehlern lernen und wann Verzeihen lernen oder einen endgültigen Schlussstrich ziehen ?

Die Gene sind nicht verantwortlich zu machen und die Gehirnchemie ist zu komplex, um hier auf eine Medikation zu vertrauen. Sinnvolle Aufgaben stellt man sich am besten selbst. Die Ursachenforschung könnte allerdings der erste Schritt zum Weiterleben sein.

Als erfahrener Psychotiker, ehemaliger Drogenabhängiger und BeWo-Bewohner mit Arbeit unter Vernachlässigung des Potentials versuche ich, Mittel und Wege zu finden, mit der gemachten Erfahrung zu leben und *vielleicht* anderen aus dem Dschungel zu helfen, in dem ich mich selbst nur allzuoft verirrt habe. Dieser tiefsitzende Hass gegenüber allem, was auch nur im entferntesten mit *Druck* zu tun hat, ist eine schwere Bürde. Jedoch in der reinen Opferrolle zu verharren ist nicht nur ein Stehenbleiben bei bisher gelernten Mechanismen sondern sogar ein Schritt rückwärts. Die sogenannten ‘Professionellen’ jedenfalls haben in den meisten Fällen nicht den Hauch einer Ahnung, welche Grenzen man überschritten hat, überschreiten musste ?

Der Intellekt jedenfalls ist eine mächtige Waffe gegen Minderwertigkeitsgefühle und es bleibt zu hoffen, dass mehr und mehr, Jahr für Jahr, Fall für Fall, Patient für Patient, Strafverfahren für Strafverfahren ans Tageslicht der Öffentlichkeit geholt wird.

Bittere Wurzeln wollen nicht ans Licht, sind jedoch dort erheblich besser aufgehoben als im Zwielicht oder am Straßenrand.

Die Stunde des Grizzly

Sternzeit 1286,8

Der Aussenposten war errichtet und die Verbindung stand. Der Octopus würde uns erneut durchstarten lassen. Jeder war auf seinem Posten und sie waren bereit. Der Octopus fragte den Grizzly : ‘Alles startklar ?’ Der Grizzly gab grünes Licht. ‘Engines on.’ sagte der Octopus. Ruckelnd erwachte die Dark Shadow zum Leben. Der Octopus setzte den Kurs auf Quadrant 95-5. Die Dark Shadow erhob sich in den Orbit des Mondes. Wir hatten dem Grizzly eine Menge Verantwortung zugemutet. Nicht nur, dass er den Kurs auf den nächsten Quadranten mit einer Sonne berechnet hatte, er hielt auch die Verbindung zum Mondposten. Lediglich der Delphin unterhielt sich auf seine ureigenste Weise mit seinen zu-Hause-gebliebenen Kollegen. ‘In meinem Inneren ist es schwarz. Wer bin ich ?’ fragte der Grizzly. Der Ameisenbär verdeutlichte ihm, dass wir auf einer paramilitärischen Tournee waren und keine Zeit für Philosophie hatten. Wenn wir uns allerdings weiterhin der Dienste des Grizzly bedienen wollten, mussten wir auf seine Fragen eingehen. ‘Du bist etwas durcheinander. Du hast Emotionen entwickelt.’ versuchte es die Giraffe. ‘Emo-was ?’ Der Kurs war gesetzt. ‘Setz dich. Ich erkläre dir schwarz.’ sagte der Ameisenbär. Mit Hilfe einer Bibel und dem unendlichen Weltraum würde der Ameisenbär versuchen, den Grizzly aufzuklären. Kein Wunder, dass ein so großer Entwicklungsschritt mit einigen Fragen verbunden war. Die Maulwurfine rief uns derweil zum Essen. Sie hatte ein gar wundervolles Chili con Carne vorbereitet. Auch als der Frosch bereits den Logbucheintrag vorgenommen hatte und wir in unsere Kojen gekrochen waren, saßen der Ameisenbär und der Grizzly noch in tiefgründige Gespräche verwickelt am Rande des Delphinbassins. Welch eine Aufgabe. Der Delphin würde helfen. Eine lange Nacht lag vor den dreien. Morgen würden sie weitersehen.

Erste Schritte

Sternzeit 1285,2

Die Luke öffnete sich sehr langsam. Das erste Erforschungsteam, das aus dem Frosch, der Spinne und der Schildkröte bestand, verließ in Raumanzügen die Dark Shadow und betrat den Mondboden. Die Luke schloß sich wieder hinter ihnen. Der Octopus gab über Kommintern die Befehle vor. Heute lautete die erste Aufgabe lediglich, das Fahrzeug der Amerikaner zu orten, auf Funktionsfähigkeit zu überprüfen und einige Gesteinsproben einzusammeln. Hey – aber was war das ? – das Mondfahrzeug fuhr eine Wende von 180° und das Kameraauge fixierte unser Außenteam genau. War es möglich, dass sie sich gegenseitig beobachteten und also die Bilder vom Frosch, der Spinne und der Schildkröte ins U.S.-Zentrum in Cape Canaveral übertragen wurden ? Der Octopus entschied, das Mondfahrzeug nicht weiter zu beachten und das Team mit den Gesteinsproben ins Windmühlenraumschiff zurückzubeordern. Die Schwerkraft betrug etwa ein Sechstel der gewohnten Erdschwerkraft und die Schildkröte hatte es nicht schwer, einige Brocken Gestein einzusammeln. Erneut öffnete sich die Luke und die Dark Shadow nahm ihre Passagiere wieder auf. Als sie sich aus den Anzügen geschält hatten, musste der Frosch erstmal eine rauchen. Der Grizzly analysierte das Gestein. Wie war es ? Hatte die Beatmung gut geklappt ? Wie geht es sich ? Die Mücke hatte Fragen an die Schildkröte. Stoisch antwortete sie : ‘Alles wie üblich. Keine Besonderheiten. So eine Mondlandung bringt mich doch nach all den Jahrzehnten nicht mehr durcheinander.’

Bernie stand am Herd und briet Eier. Der Grizzly hatte außer eingen Mikroben, die man wirklich nicht Leben nennen konnte, nichts gefunden. Der Delphin funkte die Ergebnisse nach Hause. Der Ameisenbär dankte und dann aßen sie zu Abendbrot. Wie würden sie weiter verfahren ? Der Octopus entschied, einen neuen Außenposten zu gründen und dann die Reise fortzusetzen. Der Außenposten würde nicht besetzt sein und remote gesteuert werden. Zunächst wurden jedoch die Ereignisse im Logbuch vermerkt und dann gönnten sie sich eine Mütze Schlaf. Die irdischen Delphine konnten es gar nicht glauben, dass dort, wo von der Erde aus nur ein halber Mond zu sehen war, ihr Freund und Bruder in einem Bassin und zwar in einem Windmühlenraumschiff weilte. Für den Delphin jedoch war alles komplett unspektakulär. Er las ein Buch, machte einen Sprung und hielt dann den Grizzly bei Laune. Der hatte nämlich seit neuestem so etwas wie Emotionen entwickelt und verweigerte von Zeit zu Zeit die Arbeit. Morgen würden sie in die nächste Phase eintreten.