some Wort zum Dienstag

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Heute habe ich geringe Mengen psychoaktiver Substanzen zu mir genommen, die keinerlei katastrophale Nebenwirkungen zeitigten. Natürlich spreche ich von Tee. Leider ist kein Snickers in Reichweite, so muss diese Kolumne hungrig verfasst werden. 2/5 der Woche haben wir geschafft und alle sonstigen Bedürfnisse sind temporär gestillt. Twitter im Fahrstuhl könnte helfen, wie bereits an anderer Stelle vermerkt. Das große weiße Zwergkaninchen klopft an der Tür und begehrt Einlass. Es kann gern einen mitrauchen.

Friede auf Erden ist ungefähr so gut erreichbar wie Harsewinkel. Doch Musik über Peace on Earth, im besten Falle noch mit dem passenden T-Shirt, macht wenigstens den Feierabend erträglich. Wenn jetzt theoretisch jemand eine Bestandsaufnahme machen wollte, um die nächsten Schritte zu eruieren, müsste er zwar die Pleite von Kalifornien und Griechenland konstatieren, würde aber feststellen, dass Black Rock ganz Afrika helfen könnte. Die Schweiz sorgt sich um ihre Mülleimer und wir haben am Monatsende nix mehr zu rauchen. Aber die Schrauben sind abgezählt. Gelingende Lebensführung lernt man nicht in Büchern sondern auf der Strasse.

Das Singleappartment ist mittelmäßig aufgeräumt und die Kommunikationsleitungen funktionieren ordnungsgemäß, so wartet also neuer Unsinn darauf, verzapft zu werden. Zählen wir also die Verluste zusammen, werden wir noch depressiver. Also ein Wort zur Hoffnung: man wartet geduldig auf sie und schöpft sie aus wenigstens halbwegs intelligenten Raucherpausen. Gelb. Butterbrot. Lesen wir von Gefahren, umschiffen wir sie nicht, sondern steuern genau darauf zu. Pain Management. Use. Abuse. Time for a change, konstatiere ich als Forscher und wechsele die Zeitzone. Müssten wir nicht unserem Tagwerk nachgehen, könnte man wenigstens den Kollegen das Jonglieren beibringen.

Die Uhr ruckte. Als ich aus dem Bus ausstieg, war es Nacht. Ich drehte mich ein letztes Mal um und erkannte Humboldt, der ebenfalls nach Hause wollte. Zusammen sind wir Quark. Unsere Bewährungshelfer sind größtenteils hilflos. Krankenstand und Pausendisziplin sind auch nicht gerade aufbauend. Also nehmen wir die Sache selbst in die Hand und verarbeiten die wechselnden Gegenstände mit steigender Euphorie zu Hackfleisch. Schildkröte zu Dinosaurier: Lass uns zu Fuss gehen. Vogel an Katze: Guten Flug noch. Wenn Sie nun nur Bahnhof verstehen, sind Sie hier richtig. Wir arbeiten noch daran. Nächste Woche an dieser Stelle mehr.
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https://www.minds.com/blog/view/475376343706509312/some-wort-zum-dienstag
https://minds.com/ewing

Max Goldt – Blödmann

Wenn man durch diese Stadt geht – oder, wenn es sein muß, auch durch eine andere –, trifft man leider alle naslang einen Blödmann, der sich wahrscheinlich auf dem Weg in ein Lokal befindet, wo sie dann alle sitzen und selbstgedrehte Zigaretten rauchen, die Blödmänner. Blödmann wie Blödfrau trinkt Weizenbier, zu viert, zu fünft, zu sechst, an einem runden Tisch mit einem Aschenbecher in der Mitte. Aus Lautsprecherboxen dringt Lautstärke, und statt daß mal ein Blödmann horcht und endlich feststellt, daß da nichts Hörenswertes, sondern Dummes dröhnt, lassen sie ihrerseits aus ihren Mündern noch zusätzlich Lautstärke quellen. Was gibt es da wohl zu bereden? Werden da Meinungen ausgetauscht oder – was wohl besser wäre – Kenntnisse und Ideen? Aber nein, denn sie alle haben dieselbe Meinung und dieselben Ideen, da sie alle die gleiche Zeitung lesen. Noch nie ist es in einer Blödmannstube vorgekommen, daß sich einer erhob und rief: «Stoppt die Lautsprecher! Tötet die miese Musike! Ich habe eine Idee!» Und wenn das mal passierte: Keiner würde hinhören. Vernarrt sind sie, die Blödmänner, in das Gemisch aus Qualm und Lautstärke – Atmosphäre nennen sie’s (Blödmänner verwechseln alles) – und wünschen, nicht von Ideen behelligt zu werden. Und solang man so duldsam wie bisher mit ihnen umspringt, wird sich da kein Jota ändern, oder vielleicht doch – ja, jetzt: Ich pack mir einen Blödmann an der Gurgel oder am Revers und sag ihm mutdurchdrungen folgendes: «Schweig mal drei Minuten, Blödmann! Kannst du das? Du verwechselst alles miteinander, rauchst selbstgedrehte Zigaretten, in Deutschland ist es dir zu kalt, und zu jedem Schund hast du eine deiner berühmten eigenen Meinungen; kurz gesagt: Du bist ein Blödmann. Ein lausiger Lauthals, Dreinredner und Lautsprecher-Typ. Was deine Meinungen angeht, laß dir gesagt sein, daß es voll und ganz ausreicht, wenn ich mir die Mühe mache, auf Standpunkten zu stehen. Sei dankbar dafür, daß ich diese Arbeit übernehme, applaudiere mir und schweig ansonsten, zu mehr taugst du nicht!» So redete ich eben, Adressat war ein Blödmann, der jetzt glotzt. Ich greif mir den Verdatterten, schleife ihn in meine Wohnung und fahre natürlich unverzüglich mit meinem berechtigten Levitenlesen fort:
«Was bibberst du, Blödmann? Ist es dir zu kalt? Ich habe 18 Grad hier, und das ist gerade richtig. Ich sage dir: In Deutschland ist es nicht zu kalt. Das Wetter ist immer gerade richtig. Die Sonne scheint immer im rechten Moment, und wenn es mal regnet oder schneit an einem Tag, dann heißt das eben, daß Sonnenschein an diesem Tage nichts zu suchen hat bei uns und daher freundlicherweise und logischerweise wegbleibt. Man muß dem Wetter immer beipflichten. Blödmänner begreifen das natürlich nicht. Kaum daß sich bei ihnen ein bißchen Geld versammelt hat, lassen sie alles stehen und liegen und fahren in kochendheiße Länder mit riesigen Insekten und bekloppten Religionen, wo regelmäßig überfüllte Fähren kentern. Dort leben sie für ungeheuer wenig Geld und prahlen dann zu Haus damit, als ob es ihr Verdienst wär oder eine Leistung, für fünf Mark zu übernachten oder sich für zwei Mark satt zu essen, incl. Getränke. Am liebsten würden sie das ganze Jahr hindurch ‹da unten› bleiben. Je nun, das liebe Geld. Blödmänner haben immer kein Geld. Wer keines hat, muß sich halt was verdienen; und wenn man es nicht gleich wieder ausgibt für unnütze Autos und Urlaubsreisen, dann wird es mehr und mehr, und irgendwann ist man reich. Was denn, du willst widersprechen und mal wieder anders meinen? Ich will nichts hören. Wo hast du sie nur alle zusammengeschnorrt, deine ewigen Meinungen über dies und das und jenes? Ich kann es mir schon denken! In Lokalen, wo es nach selbstgedrehten Zigaretten und sogenannter Kreativität riecht und wo hämestrotzende Zeitungen ausliegen, gefüllt mit Neins und kessen Meinungen, die du und deine Besserwisserkompanie sich gierig einverleiben, bis ihr prallvoll Meinung seid. Billige Pralinen! Was, schon wieder Widerworte? Das hört jetzt auf. Hier habe ich ein Messer, da auch eine Axt, und hier ist noch ein dicker fetter Vorschlaghammer. Du kannst wählen. Ach was, ich frag dich gar nicht erst, du hast genug gesagt in deinem Leben.»

Ja, Blödmann, jetzt liegst du in meinem Bett, wo ich ausgerechnet so einen wie dich nun wirklich nicht gern haben wollte. Doch jetzt bist du darin am besten aufgehoben. Sprichst du? Leise sagst du, du müßtest jetzt wohl sterben. Wo hast du das nun wieder her, was ist wieder das für eine Meinung? An so was stirbt man doch nicht gleich. Aber Blödmänner jammern halt immer herum. Still, Blödmann, Lauthals, Jammervogel, still ist es geworden. Die Lautsprecher sind abgestellt, ich höre keine mehr. Miese Musik mag es irgendwo weit fort noch geben, doch ich höre keine mehr. Ist es nicht schön, wenn es still ist, Blödmann? Hast du Hunger oder Durst? Nein? Ist es nicht schön, auf der Bettkante zu sitzen, neben sich einen, den langsam die Kräfte verlassen? Ist das schön, Blödmann? Soll ich mich zu dir legen? Was meinst du, Blödmann?
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Aus: Max Goldt – Ungeduscht, geduzt und ausgebuht, A-Verbal-Verlag, B. (März 1991) ISBN 978-3889990068