stimmenrausch 2014-07-23

Elise Augustat, zum 125sten; Odette du Puigaudeau, zum 125sten; Fritz Glarner, zum 115ten; Edmund Hillary, zum 95sten; Uwe Johnson, zum 80sten; Judy Chicago, zum 75sten; (alle 20. Juli)
Hart Crane, zum 115ten; Ernest Hemingway, zum 115ten; Philippe Ariès, zum 100sten; Kim Fowley, zum 75sten; Helmut Haller, zum 75sten; Gustav Karpeles, 105ter Todestag; Jean Fautrier, 50ster Todestag; Ludwig Renn, 35ster Todestag; (alle 21. Juli)
Emma Lazarus, zum 165sten; James Whale, zum 125sten; Otto Rombach, zum 110ten; Charles Regnier, zum 100sten; (alle 22. Juli)

“Auf den Gipfel ist das Ziel und das Ende unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet.”

Francesco Petrarca, 710 Jahre; z.n.w.

Ich weiß, ich war nur ein Jagdkumpan,
ich ging wie im Rausch auf dem einsamen Plan.
Da kamst du mir nah, und plötzlich wir schweigen,
und ich sprach Worte, die himmelwärts steigen
wie Falken und Schwäne und sanken nieder
vor dir mit rotgenäßtem Gefieder.
Du wolltest lächeln, deine Worte warben
um Trost und erstarben
im Hörnerschall, Jagdschwall und blutigen Farben.

Erik Axel Karlfeldt, zum 150sten; im Gedicht: “Eine Jagdvision”

“So wisse, daß das Weib
Gewachsen ist im neunzehnten Jahrhundert,”
Sprach sie mit großem Aug’, und schoß ihn nieder.

Maria Janitschek, zum 155sten; im Gedicht: “Ein modernes Weib”

Diese Unehre habe ich nicht verdient!

Oskar Maria Graf, zum 120sten; aus: “Verbrennt mich. Protest anläßlich der Bücherverbrennung”

Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile.

Wolfgang Metzger, zum 115ten; aus: “Was ist Gestalttheorie?” 1975

Die Welt ist das Tal der Küsse,
Die Welt ist der Berg des Kummers,
Die Welt ist das Wasser der Flüssigkeit,
Die Welt ist die Luft des Unsinns.

Detlev von Liliencron, zum 105ten Todestag; aus dem Gedicht: “Betrunken”

Tu es le soleil de mes nuits

Sacha Distel, zum 10ten Todestag; aus dem Lied: “Le soleil de ma vie”

“What do you expect me to do about it?”

John Dillinger

jeder richtet seine werkstücke anders zu…
hier meistenteils in ausdauernder feinarbeit
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stimmenrausch 2014-07-19

Einst tanzt es als ein Sternlein hoch im Blau;
Hernieder fiel es und erlosch im Tau.

Ein Schwärmer stieg’s in die entzückte Luft,
Versprühte buntes Licht; nun ist’s verpufft!

Johanniskäfer war’s und glühte schön;
Nun ist’s ein Würmchen, häßlich anzusehn.

Wie Nachtigall sang’s Liebe immerzu;
Ein Käuzchen ward es nun und ruft schuhu.

Ricarda Huch, zum 150sten; aus dem zwölften in: “Neue Gedichte” 1908

“Ich wurde 1929 geboren. Als ich klein war, etwa 7 oder 8 Jahre alt, ging mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Was heißt es, sterben zu müssen? Wann werde ich sterben? Wie wird das passieren? Was werde ich anziehen? Vielleicht wird mir Mama ihr schönes rosa Kleid geben, das sie genäht hat, Altrosa mit einem goldenen Band. Lieber Dario, alles was ich geschrieben habe, ist, um dir zu sagen, dass ich vor Traurigkeit sterben werde, wenn ich nicht ans Theater zurückkehren kann.”

Franca Rame, zum 85sten; in ihrem letzten Artikel auf dem Blog von Il Fatto Quotidiano, übersetzt von Kathrin Faltermeier
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stimmenrausch 2014-07-16

“Sich zu entlieben ist sehr erleuchtend. Für eine kurze Zeit sieht man die Welt mit anderen Augen.”

Iris Murdoch, zum 95sten

“Sattheit enthält, wie jede andere Kraft, immer auch ein bestimmtes Maß an Frechheit, und dies äußert sich vor allem darin, daß der Satte dem Hungrigen Lehren erteilt.”
“Es ist leicht, rein zu sein, wenn man es fertig bringt, den Teufel zu hassen, den man nicht kennt, und Gott zu lieben, an dem zu zweifeln das Hirn nicht reicht.” zit.n.wiki.

“Wir haben weder Nah- noch Fernziele, unser Herz ist wie leergefegt. Wir haben keine Politik, an eine Revolution glauben wir nicht, wir haben keinen Gott, wir haben keine Angst vor Gespenstern . . ., nicht einmal Angst vor dem Tod oder dem Erblinden . . . Ob dies eine Krankheit ist oder nicht – es geht nicht um die Bezeichnung, sondern um das Eingeständnis unserer Lage . . . für unsereinen ist diese Zeit brüchig, sauer, langweilig . . . Uns fehlt das ‘Etwas’ . . .”

Anton Tschechow, zum 110ten Todestag; zit. n. Otto A. Böhmer in Wiener Zeitung

Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmerzen.
Ein Ball des falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit.
Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharffem Leid /
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Andreas Gryphius, zum 350sten Todestag; 1. Quartett aus: “Menschliche Elende”

Es ist immer noch Winter, immer noch Schnee
Und ein Spieler ohne Glück, das tut immer noch weh

Jörg Fauser, zum 70sten; aus dem Song: “Der Spieler”
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stimmenrausch 2014-07-15

225 jahre französische revolution
125 jahre zweite internationale

eine schöne sache diese menschenrechte, wenn sie nicht, besonders von jenen kreisen,
die sie einst proklamiert haben, immer noch und wieder so häufig außer kraft gesetzt würden.
und auch angesichts des mordens und des kollateralterrors in palästina,
dem international kein einhalt geboten wird, erkennen wir, wie diese elementaren
freiheitsrechte des einzelnen jederzeit gefährdet sind und gewissenlos ausgehöhlt
und unterlaufen werden von national-bourgeoisen wie christlich-faschistoiden strömungen,
die nie aufhören, “demokratische errungenschaften” zu bekämpfen.

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stimmenrausch 2014-07-10

Letzte Gerechtigkeit im Urteil über den Weltkrieg 1914-16 mag hundert Jahre später dem leidenschaftlichen Forscher möglich sein, dem das von Generationen gesichtete Material mit allen seinen Quellen und dazu der Überblick über die politischen und kulturellen Folgen der Katastrophe zur Verfügung steht. Ich erstrebe mit meiner Beschuldigungsschrift nicht den Ruhm eines unparteiischen Geschichtsschreibers. Denn mir ist daran gelegen, auf die Resultate und Folgen des Krieges zu meinem Teil einzuwirken, damit nicht die Leute, aus deren ehrgeizigen oder selbstsüchtigen Interessen das ganze Unheil entstanden ist, und deren ökonomische und politische Macht die Dauer des Schreckens und des Jammers ins Maß- und Sinnlose zu verlängern gewußt hat, – damit diese Personen nicht auch noch als Architekten der deutschen Zukunft Unglück über Unglück zu häufen und als Krönung und Abschluß des zweiten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung eine deutsch-militärische Schreckensherrschaft über die Zivilisation und Gesittung Europas aufzurichten befugt werden.

Erich Mühsam, zum 80sten Todestag;
aus: “Abrechnung” (Abhandlung zur Kriegsschuldfrage), 1916;
in: Erich Mühsam – Auswahl aus seinen Werken. Hrsg. von Nina Pawlowa. Moskau 1960: Verlag für fremdsprachige Literatur, S. 112-127.
auch wiedergegeben in: Erich Mühsam. Briefe an Zeitgenossen Band 2 – Materialienband. Berlin 1978: Verlag Klaus Guhl

auszug liegt hier erstmals als digitalisat vor und jede(r) ist aufgefordert, über das motiv nachzudenken, und dies mausend und pausend weiterzugeben.

“Sie haben die neue Wehrmacht aufgebaut – nach zwei Weltkriegen zum dritten Mal. Sie beziehen Pension und tragen ihre Hitler-?Orden weiter, denn sie haben ja wohlerworbene Ansprüche, an den Staat, der schon wieder dabei ist, seine jetzige Wehrmacht weltweit einzusetzen. Weltweit!”

Emil Carlebach, zum 100sten; aus seiner Ansprache am 9. April 1995 zum 50. Jahrestag der Selbstbefreiung auf dem Appellplatz in Buchen­wald

stimmenrausch 2014-07-09

Sich-Erinnern, um vergessen zu können. Die Vergangenheit, an die ich mich erinnern kann, habe ich bewältigt, sie ist dadurch Erfahrung geworden; die andere Vergangenheit ist mir entfremdet und kann mich überwältigen.
aus: “22 Tage oder Die Hälfte des Lebens”, 1978

Nur wenn wir das Einzelne verallgemeinern, aus dem Einzelnen das Allgemeine ziehen, können wir lernen, d. h. Erlebnisse in Erfahrungen umschmelzen, und nur wenn wir das Einzelne richtig, d. h. seinem objektiven Wesen gemäß verallgemeinern, können wir erfolgreich lernen und unseren Erfahrungen vertrauen.
aus: “Wandlung. Wahrheit. Würde. Aufsätze und Gespräche 1964 bis 1981”, 1985

Franz Fühmann, zum 30sten Todestag

“Der Tod Gustloffs konnte die Nazis nicht ändern, aber ich hoffte, daß meine Tat die Juden ändern würde.”

David Frankfurter, zum 105ten; zitiert nach Der Spiegel 30/1982

stimmenrausch 2014-07-08

es war ja nicht alles schlecht… im deutschunterricht

Gesang der Toten (1915)

Es dorrt die Haut von unsrer Stirn,
Es nagt der Wurm in unserm Hirn.
Das Fleisch verwest zu Ackergrund,
Staub stopft und Erde unsern Mund.
Wir warten.

Das Fleisch verwest, es dorrt das Bein,
Doch eine Frage schläft nicht ein,
Doch eine Frage wird nicht stumm
Und wird nicht satt: warum? warum?
Wir warten.

Staub stopft und Erde uns den Mund,
Doch unsre Frage sprengt den Grund
Und sprengt die Scholle, die uns deckt,
Und ruht nicht, bis sie Antwort weckt.
Wir warten.

Wir warten. Denn wir sind nur Saat.
Die Antwort kommt, die Antwort naht.
Weh, wen sie trifft. Heil, wem sie frommt.
Die Antwort zögert, doch sie kommt.
Wir warten.

folglich später…

Dazu kommt, daß viele Schriftsteller mehr als andere Exilanten unter den läppischen kleinen Miseren leiden, aus denen der Alltag des Exils sich zusammensetzt.
Die ökonomischen Schwierigkeiten und der aufreibende Kampf mit Nichtigkeiten, die nicht aufhören, sind das äußere Kennzeichen des Exils.
aus: “Arbeitsprobleme des Schriftstellers im Exil” (1943)

Lion Feuchtwanger, zum 130sten

“umarme die Luft, geh, ohne Grenzen
winke ihr das letzte Mal zu
und ich setze mich hin
und über mir ein jubelnder und winkender Wind
alle auf! Und ich versuche zu zaubern
Liebeserklärung an den Wind
auf! Ihr Bäume, jetzt werdet ihr mein Weg sein
Gedanke verschone mich
daß ich kein Ziel nennen kann”

Vlado Kristl, zum 10ten Todestag; spontan gesprochenes Gedicht aus dem Film “Diese Gedichte”, 1975; hier zitiert nach Fritz Göttler und Markus Nechleba

stimmenrausch 2014-07-05

crackhead, abgesuckelt

schaut von allen seiten
wahrscheinlich nur der zufall
daß diese fascho-modedroge*
leidenschaftliche poesien 1es
spd-technokraten zernichtet
und diese seine partei vornean
uns vielen undemokratischen übeln
überantwortet indem ihre organfortsätze
gegen bedürfnisse und erklärten willen
einer mehrheitsbevölkerung regieren:
dem vernichtenden kapitalmarkt
dem krieg und seinem plural
einem mordswaffenhandel
dem überwachungsstaat
dem konzernestaat
dem freihandel
dem fracking
den gen-giften
der propaganda-zwangsabgabe
dem verlogenen arbeitsplätzedogma
geschwächter bildungs- und gesundheitsversorgung
unreflektiertem stellungbeziehen in internationalen konflikten
diese polyticks entsprechen haarklein den größenwahnstrukturen
die dauergebrauch von macht & methamphetamin in die hirne schleift aha
das besonders toppt die ohnehin morbiden ausformungen einer christlich-alkoholisierten gesellschaft

* ja, danke liebe freischärler, eine droge selbst ist nicht schlecht… aber das sagen sie von waffen auch. es sind fast immer die falschen händchen…

stimmenrausch 2014-07-04

Ich fühle mich immer angezogen von der äußeren physischen Eigenheit einer Frau, die mich ganz besonders berührt. Meistens genügt das, um sie in meinen Augen schön erscheinen zu lassen.

Benjamin Péret, zum 115ten; aus: “Fünftes Gespräch der Surrealisten über Sexualität” (1928)

und doch schaudert mich, ihre angstvolle körpersprache auf mich wirken zu lassen.
ihr linker arm, der schlaff an der seite hängt. zu sehen, wie finger sich um den
abgebrannten rest einer kippe krallen. kalte finger, die sich bei berührung erschrecken
und sich dann mit ihren kleinen abgenagten kuppen verzweifelt aneinander reiben.
zu wissen, daß diese hand sich nie zärtlich in den nacken eines menschen gelegt hat.
sie hat es nie nie selbst bemerkt und ahnt nicht, daß vor wie nach ihrem jahrelangen
crystal-meth-mißbrauch jähzorn und sprachverlust ihrem verkrüppelten herzen entspringen.
um diese hand wollte ich anhalten…

Stimmenrausch

torfalk II oder olof-palme-drohn

die europäische drohne,
wie wird sie benannt werden?
nach einem friedensnobelpreisträger?
um auch zögerliche sozialdemokraten
für die höhere gewalt zu gewinnen,
schlage ich vor, wir taufen die erste ganz
feierlich vor ihrer jungfernexekutionsmission
gegen radikalfundamentale überzeugungstäter
bzw. jeden gegner (d.h. terrorkämpfer)
oder penetranten wirtschaftsasylanten.
“FEK Willy-Brandt Unbemannt”.
dieser fliegende einsatzkörper stößt im richtigen
moment aus der deckung, ohne daß ein killender joystick-
wichser befürchtet, verantwortung übernehmen zu müssen.
der integral-analoge humanroboter übernimmt die funktionen
greifer, richter, henker in einer person ohne lästigen prozess
und sitzt dann morgens unerkannt neben uns beim kaffee.
den schreibtischtäter an der todesspritze zu immunisieren,
ist die genialste angriffsmoralaufrüstung seit trojanern und nazis.
unangreifbare, schlachthofmäßig klinischste ethische drecksarbeit,
hat die nicht einen sauberen namen verdient?

Quelle: Stimmenrausch/Berlin 2014-07-02