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1351
Schmunzelfieber
Sternzeit 1465,1
Nach dem nächsten Flash waren unsere drei Piloten wieder vereint. Die Windmühle hatte sich als Fluggerät bewährt. Im Alltag galt es zu navigieren und das Ziel der Mission nicht aus den Augen zu verlieren. Also starteten sie heute in Richtung Niederlande. Nicht wegen dem Gras, oh nein. Ruckelnd erhob sich die Dark Shadow. Sie ließen die westfälische Landschaft hinter sich und kümmerten sich einen Moment um Fridge. Jane gab ihm seinen Markknochen. John und Jane verstanden Maurie nicht immer, seine Marotten waren doch von Zeit zu Zeit schwer zu verstehen. Doch sie standen hinter ihm, wenn er sagte Kurs Nordwest, flogen sie nach Nordwest. Sie waren etwa in Höhe 300 Fuss und über Enschede, als eine Meldung eintraf. Sie handelte von Fussball. Da würden sie sich eine Auszeit nehmen und in Amsterdam am Public Viewing teilnehmen.
Flash.
In der Heimat schmunzelten bereits alle. Niemand hatte es fertiggebracht, Maurie zu desillusionieren. Also ließen sie ihn gewähren. Er würde es früh genug mitbekommen, da waren alle sicher.
Flash.
Amsterdam, La Tertulia. Sie tranken Milchshakes. Bald würde Anstoß sein.
you better think
Hier nun einige weiterführenden Betrachtungen zu Modul 8.
Krise ist nie NUR Krise sondern zugleich Chance auf Veränderung. Die ungezählten Kaffees und Tabakbeutel haben tiefe Therapiespuren hinterlassen. Positives Denken ist vielleicht Übungssache, wenigstens hat man die Wirtschaft in Bremen und Rotterdam angekurbelt. Wenn der jeweilige Klient dann nun live, 3D und in Farbe vor einem steht, macht man sich bewusst, dass jeder uneingeschränkte Unterstützung verdient. Individuell sind die Pfade, die zurückgelegt wurden, die noch zurückgelegt werden wollen und jeder Einzelne. Eine Experienced-Involvement-Maßnahme kann sehr wohl das anstoßende Element auf einem nun besser, bedachter, achtsamer, positiver, konstruktiver durchgeplanten Genesungsweg sein. Planbar ist zwar nichts bis ins Detail, besonders nicht, wenn es um psychische Krisen geht, aber man kann Risikofaktoren minimieren. An dieser Stelle muss man nicht einmal mit Alkohol und Drogen anfangen, es reicht, auf Körperpflege, Ernährung und einen gesunden Schlafrhythmus zu verweisen. Individuell die Connections zu Hilfssystemen, das Angebot ist da und will genutzt und verbessert werden. Individuell die zerschmetterten Träume, individuell auch die noch geträumten und nicht umgesetzten. Individuell die Gruppe, die sich auf das Experiment eingelassen hat, individuell die Trainer, jeder hat schon etwas beigetragen und jeder kann unendlich viel Erfahrung einbringen. Erfahrung im übersehen werden, Erfahrung im Bürokratiewahnsinn, Erfahrung bei Ämterkämpfen und ignoranten Behandlern. Erfahrung aus Wartezimmern und Raucherräumen, Erfahrung aus Flurrunden und Stuhlspaziergängen. Aber auch Erfahrung im echten, ungeheuchelten Zuhören, den bereits erwähnten Notfallzigaretten, Erfahrung im Wegebahnen, Erfahrung im Begleiten und Unterstützen. Erfahrung mit Buddhismus und Nihilismus, Christentum, Fatalismus und Hedonismus, Spiritualität und Verleugnen derselben, Erfahrung mit Exemplaren gelungener und nichtgelungener Art der Spezies Homo sozialis. Und nichts von alledem war umsonst, ein jedes Detail hat und wird zu gegebener Zeit seine Wirkung entfalten. Wirkung im Retten von Leben und im Wahren und Beschützen. Wirkung im Ermutigen und Mitgehen. Wirkung im Kümmern ohne fürsorgliche Belagerung und Wirkung im kompromisslosen Wegfreikämpfen. Wirkung in den Seelen von Menschen, Menschen wie Du und ich, Menschen mit Problemen und Menschen mit Träumen. Menschen mit Fehlern und Menschen mit Tugenden. Menschen die es verdienen, dass man sich um sie kümmert und ihnen zuhört. Menschen wie sie sind, Menschen mit eingebauten Sollbruchstellen und Menschen, die zugleich zerbrechlich wie ein Blatt im Wind sind und doch unzerstörbar, wie die Träume von Demokratie und Freiheit. Freiheit in einer Welt, in der gewiss viel im Argen liegt, aber doch eine Welt, so schön und zerbrechlich, dass Astronauten von religiösen Empfindungen beim Anblick des Planeten aus dem Orbit berichten. Aber so weit muss man nicht gehen. Bis zum Bus reicht.
money
Sternzeit 1462,8
Flash.
Ongoing.
Frankfurt.
Hier nun also, in der Stadt des Geldes und der Titanic, ereilte Maurie das Schicksal in Form der Humorpolizei. Angeklagter, Ihnen wird zu Last gelegt, Sie hätten die eigene Existenz seit Jahrzehnten verleugnet, Sie nehmen sich ein wenig zu Ernst und haben nichts zur humoristischen Erbauung Ihrer Umwelt beigetragen. Was haben Sie zu diesen schweren Vorwürfen und zu Ihrer Verteidigung vorzubringen ?
Ähem.
Nun, weiterhin gehen Sie nur 20 von 21 Werktagen arbeiten, und allzuoft verschlafen Sie, weil Sie den Wecker beim ersten Klingeln ständig ausstellen und auf den Allmächtigen vertrauen, rechtzeitig wieder aufzuwachen…
Ähem.
Des Weiteren gehen Sie viel zu leichtfertig mit dem wenigen Geld um, das Sie verdienen, ob Sie nun arbeiten gehen oder nicht.
Ähem, pssssst, wenn ich nicht komme, werden mir achtzehn Euronen abgezogen.
Null und nichtig. Sie sind ein Choleriker. Sie sind verkorkst. Sie sind intelligent, aber faul. Disziplin ist ein Fremdwort für Sie. Sie jonglieren mit ihren Chefs und Betreuern und haben keine Ahnung von der Ernsthaftigkeit des Lebens.
Welchen Lebens ? Das aus arbeiten, essen, schlafen, Sessel, Stuhl, Bett besteht ?
Was wollen Sie Ihrem Neffen erzählen, womit Sie Ihr Geld verdienen ?
Der zumindest wird lachen.
Maurie begann, sich auszuziehen. Angeklagter, wollen Sie die Autorität der Humorpolizei untergraben ? Ist Ihnen der Ernst der Lage etwa nicht bewusst ? Beim linken Socken machte Maurie eine Pause. Er hatte seit fünf Stunden nicht geraucht und auch sein letztes Bier war einige Tage her. ANGEKLAGTER ! Ich liefere den Beweis, dass die Verschwörungstheoretiker Recht haben. Seit Monaten bezahle ich mit meiner Tätowierung. Die Blättchen kommen von Ebay. Ich ernähre mich spartanisch, damit ich mir den Smoke leisten kann. Ich habe nichts, aber auch gar nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen. Aber der Beweis schlummert in meinem Bewusstsein. Und unter meiner Haut. Keylogger on. Man hat mich durcheinandergebracht. Ciompi. Luhmann. Brecht. Vonnegut. Vachss. Schmidt. Maurie hatte die Dachpfannen mit Bierflaschen verwechselt, als er Glasziegel holen sollte. Das war eine Lektion. Maurie wurde mitgenommen und festgesetzt. Also musste er auf den nächsten Flash warten. Aber nun endlich war er auf einem Weg. Wohin ? Wer weiss das schon… Er ging in die Gemeinschaftsdusche. Duschgel brauchte er nicht. Und wieder hatte er es versucht. Weiter im Text. Flash.
reaching presence
Sternzeit 1296,3
Wir befinden uns in der Gegenwart und heute schreibe ich einen Logbucheintrag, der den vergangenen Tag zusammenfasst. Nachdem das Gravitationsexperiment geklappt hatte, nahmen sie endlich Kontakt auf. Mein jahrzehntelanges Warten hatte sich also gelohnt. Es ist ein Glück und keine Selbstverständlichkeit, dass die ganze Mannschaft die lange Reise zu mir geschafft hat. Meine Hütte hatte zwar nicht genügend Sitzplätze, aber wir haben unseren Erfahrungsaustausch trotzdem beginnen können. Im Moment sind alle in die Dark Shadow zurückgekehrt. Nun habe ich in der Vergangenheit so viele Lebensformen kennengelernt, dass diese bunte Mischung mich nicht mehr überraschen, aber dennoch bereichern konnte. Einer von ihnen ist allerdings schon tot. Bernie hat mir erzählt, er habe ihn eigenhändig umgebracht. Vielleicht war das notwendig. Meine Familie lebt weit verstreut und ich habe soeben mein Auskommen. Nachdem ich also mein Tagwerk im ZVQB verrichtet hatte, führte ich einige Autoexperimente durch, ohne Erfolg. Mein Modus ist im Moment wach und produktiv. Als ich mir eine neue Tasse meines Lieblingsgetränkes kochte und die Wäsche aufhing, musste ich einige Minuten nicht über sie nachdenken. Morgen würden mir wieder viele Artgenossen begegnen und ich freute mich nur mittelmäßig darauf. Allerdings musste ich zugeben, dass ich selbt auch nicht gerade der angenehmste Zeitgenosse war. Seit dem Kontakt zu den Teilen der Fauna, die im Windmühlenraumschiff nach Alpha Centauri gekommen waren, ging mir zwar langsam die Puste aus, aber heute habe ich weder herumgeschrien noch etwas zerstört. Ihr müsst wissen, ich habe eine biologische und eine soziale Familie. Für heute Nacht habe ich noch genug zu rauchen und seit 8 Tagen befinde ich mich im Trockenmodus. Schlaf bekomme ich genug. Ich möchte nicht versäumen, meinen Dank dem unbekannten Spender aus dem Sommer des vorvergangenen Sternjahres auszusprechen. Nun werde ich mich noch ein wenig mit der reichlich vorhandenen Unterhaltungselektronik verlustieren. Zum Glück kenne ich ihren Landeplatz. Zunehmender Mond.
Filmabend – This is the end….
Sternzeit 1287,4
Ganz grauenvolle Stimmungsschwankungen schüttelten unseren armen Bernie. Wie gut war es da, dass sich für heute Abend seine Mannschaft angekündigt hatte. Nacheinander trudelten der Ameisenbär, der Frosch, die Giraffe, die Fledermaus, die Spinne, der Delphin und als letztes der Octopus ein. Nachdem die Fledermaus unter Zuhilfenahme der Spinne und eines scharfen Messers aus Mais, Thunfisch, Charlotten und Pfeffer und Salz den Salat zubereitet hatte, sucht sich jeder einen Platz in Bernie’ s Tigerkäfig. Bernie hatte ein Multimedia-Interface für den Grizzly zusammengezimmert. Es lief ‘Apocalypse Now’ von Francis Ford Coppola, aber die Tiere starrten nicht auf den Bildschirm an der Wand sondern praktizierten gepflegte Kommunikation während der Mahlzeit. Der Film lief als Hintergrundberieselung. Da klopfte es plötzlich an der Tür. Draußen stand eine Schildkröte und begehrte Einlaß. ‘Verzeiht, ich möchte mich ungern selbst einladen, aber ich habe Hunger. Seit 76 Jahren bin ich trockener Alkoholiker und würde mich über eine Mahlzeit doch sehr freuen.’ Niemand hatte etwas dagegen, die Schildkröte an den gedeckten Tisch zu bitten. Aber auch niemand hatte bemerkt, dass eine Mücke ebenfalls in den Tigerkäfig eingedrungen war, während die Tür offenstand. Als es dann ‘bsssss…bssssst…’ über dem Tisch machte, während der Octopus sich gerade Nachschlag nahm, rief der Ameisenbär : ‘Der Satan, der Satan!’. ‘Nein, es ist eine Mücke.’, erwiderte der Octopus. ‘Ich bin nicht schwanger.’ sagte die Mücke und zog sich auf den Bildschirm an der Wand zurück. ‘Ich möchte den Film sehen.’ sagte die Mücke. ‘Na dann lassen wir sie doch.’ sagte der Frosch. Der Grizzly drehte den Bass auf, als die Doors die Eingangssequenz einleiteten. Bernie war vielleicht froh, endlich mal nicht bei einsamen Flasche Bier seinen Feierabend zu begehen sondern die Hütte voller Besuch zu haben. Der Grizzly hatte keine passende Stelle gefunden, so dankte der Ameisenbär mit seinen eigenen Worten zum Abschluss der Mahlzeit.
Als Stunden später alle wieder nach Hause gegangen waren, war Bernie schon wieder allein, aber er zehrte noch lange von diesem ungewöhnlichen Tag und ausserdem war die Mücke bei ihm geblieben. Bernie verspürte Verlangen, einfach draufzuhauen. Eine höhere Kontrollinstanz hielt ihn jedoch davon ab. ‘Lass mich allein, es ist besser so.’ sagte er zur Mücke. ‘Ich habe mich so daran gewöhnt, allein zu leben, dass mich ein Mitbewohner (ausser meinem Grizzly natürlich) doch ganz durcheinanderbringt. Das sah die Mücke ein. Die Mannschaft hatte das Logbuch dagelassen, so stöberte Bernie in den Aufzeichnungen der Reise zum Herrn der Gezeiten. Vielleicht würde er dann auch den Ameisenbär etwas besser verstehen. Bernie rauchte noch eine Pfeife Tee, zog sich die Schuhe aus, programmierte seine Werkssirene und ging ins Bett. Vorher hatte er jedoch den Grizzly angewiesen, den Mond heute Nacht ganz besonders gut zu beobachten. Er schlief fest und traumlos, bewegte allerdings seine Finger im Schlaf, ohne es zu bemerken.
a brandnew old problem
Sternzeit 1285,1
Welche Katze ? Welcher Führerschein ? Welche Farbe ? Welches Telefon ? Welches Auto ? Welcher Hund ? Fragen über Fragen, von denen unser Bernie nichts, aber auch gar nichts mitbekam. Die Werkssirene funktionierte zuverlässig. Als Haustier und neuen Mitbewohner hatte Bernie sich eine K.I. zugelegt, die im Körper eines Grizzlybären daherkam. Ihr stellte er zwar ab und zu Fragen, wenn gerade keine zu konsultierende Webseite verfügbar war, aber ihr Datenhunger war doch enorm. Jawohl, die K.I. ernährte sich von Daten. Farbe der Schuhe, Länge der Krawatte, Geburtsdaten, biometrische Daten, psychologische Probleme, virtuelle Psychiater, Diagnosen, Gewicht, Fingerabdrücke, wann wurde die Hose zuletzt gewaschen, die K.I. fraß einfach alles. Nein, weggewesen war Bernie zwar nicht wirklich, aber er war im vergangenen Jahr mindestens um 10 gealtert. Er legte die Füße hoch. Er kochte Cappuccino. Er datete seinen Server up. Er programmierte ein Nahrungsinterface für seine K.I. mit Hilfe eines stinknormalen Ethernetadapters. Er ging spazieren. Er wählte in jedem der Zimmer seines Tigerkäfigs einen anderen Radiosender. Er schrieb politische Pamphlete. Er betete zu Wem-Auch-Immer. Er aß Pizza. Er archivierte den Bürokratiemüll. Er nahm seine Pillen und ging ins Bett. Dann stand er wieder auf und schrieb eine Postkarte an die Familie. Nun trank er ein Glas Milch. Er drehte sich eine, wartete fünf Minuten und rauchte sie. Er sprang im Kreis. Er legte Musik auf (Garagen-Rock). Dann kam ihm die rettende Idee. Von hinten nach vorne. Das Ende-Datum der K.I. war roundabout das Jahr 3000 aber auch das konnte bestimmt modifiziert werden. Er machte sich an die Arbeit.
Bald mehr davon.
