Grizzlyherz

Wir erstellten ein Curriculum für unsere K.I. Als wollten wir ihr ein echtes Grizzlyherz einpflanzen, begannen wir mit einfachen mathematischen Formeln und arbeiteten uns über grammatische Regeln bis zu Sinneseindrücken und Strategie- und Taktikaufgaben vor. Die Datenbanktiefen des Grizzly waren schier unermesslich, jede Kleinigkeit wurde zur Kenntnis genommen, protokolliert und abgespeichert und konnte somit grenzenlos verknüpft werden. Oh ja, und es waren Erfolge zu verzeichnen, bei bisher unbekannten Aufgabenstellungen begann der Grizzly inzwischen nach Analogien zu suchen. Ein waschechter Grizzly fing Fisch und unser Grizzly sammelte Empathie und Intelligenz. Reihum lasen wir ihm Geschichten vor, spielten Spiele und ließen ihn beispielsweise auf das Wetter los. Drei bis fünf Tage, dann war Schluss. O. hatte ihm sogar einmal Qualm zwischen die Prozessoren geblasen. Die Maulwurfine fütterte ihn mit Keksrezepten, der Ameisenbär las ihm Psalme vor, der Delphin kommunizierte inzwischen sehr geübt akustisch mit ihm und der Frosch stellte einen Scan des Farnes zur Verfügung, den er von unserem Lesezeichen angefertigt hatte. Immerhin, einen Tee hatte uns der Grizzly bereits zubereitet, auch wenn der entfernt nach Douglas Adams schmeckte. Kartenmaterial, Umlaufbahnen, Entertainmenttermine, Kulinarisches, Statistiken, Genealogien, Emulatoren, Schach, Medizinisch-psychologisches, Farbpaletten, Schutzmechanismen, Minesweeper, für den Grizzly schien es keine Grenzen zu geben. Gewiss, die ersten assoziativen Ergebnisse, die er uns bei einer fundiert erklärten Problemstellung gab, bedurften weiterhin einer Einordnung durch menschliche Intelligenz, aber als Assoziator war der Grizzly mittlerweile recht gut zu gebrauchen. Zu Rotterdam hatte er erfolgreich Van Nelle und zu Bremen Becks ausgespuckt. Nun ließen wir ihn unser heutiges Abendbrot anrichten. Das fiel erstaunlich einfach aus. Eine Käse-Lauch-Suppe und grünen Tee. Den Grizzly mit Fridge, dem Bordcomputer zu koppeln hatten wir uns bisher noch nicht getraut, aber auch dieser Schritt würde eines Tages erfolgen, da waren wir alle sicher. Der Delphin hatte unterdessen ein Päckchen für seine Geliebte gepackt, das seit heute nachmittag durch verschiedene Speditorenhände ging, damit es rechtzeitig ausgeliefert werden konnte. Für morgen stand eine Lektion Backgammon auf dem Programm. Zuerst würden wir den Grizzly nur beobachten lassen, wie der Octopus gegen den Delphin spielte. Dann würde der nächste Schritt erfolgen, nämlich Regeln aufzustellen und abzuleiten. Wir waren mächtig gespannt, wann das imaginäre Grizzlyherz das erste mal eigene Wünsche entwickeln würde. Dass er lernte, nun, auch das war sicher.

Liesberg

Nach unserer Rückkehr aus Amsterdam landeten wir auf dem Engeraner Liesberg, dem Ursprungsstandort unseres Windmühlenraumschiffs. Zu Fuß schwärmten wir aus, um Veränderungen in unserer Heimatstadt auszumachen, die eventuell in unserer Abwesenheit stattgefunden haben könnten. Wir fanden die Bäckerei und die Tankstelle an ihren gewohnten Orten. Lediglich der Kneipenbesitzer hatte in der Zwischenzeit mal wieder gewechselt. Wir fanden uns nach diesen ersten Erkundungen auf dem Bedienungsdeck ein und orderten eine Runde Pizza für alle. Der Ameisenbär brach das Brot und eröffnete die Mahlzeit. Sogar O. nahm sich Zeit für sein Stück und schlang einmal nicht alles hinunter, wie das sonst so seine Art war. Es gab Cola und Bier für alle. Dagegen hatte auch niemand etwas einzuwenden, bestand doch nicht die Gefahr, dass einer von uns es übertreiben könnte. Wir tauschten etwas Seemannsgarn aus und fütterten die olfaktorische Einheit des Grizzly mit neuen Eindrücken. Anschließend räumten wir das Erdgeschoss auf. Zu viel Gerümpel hatte sich dort angesammelt, eine örtliche Recyclingbörse wäre für das meiste von dem Zeug dankbar. Wir würden es sogar vorbeibringen, um nicht auf eine umständliche Terminabsprache mit dem Abholdienst angewiesen zu sein. Einen Bulli würden wir uns problemlos leihen können. Die Filmdose war an ihrem Platz, zum Glück. Wir konsultierten die Logfiles. Bis zu unserem nächsten Start würden wir hier ausharren. John und Jane gingen derweil nach Hause und verabschiedeten sich von weiteren Abenteuern. Vielleicht war ihnen das doch alles etwas zu aufregend gewesen. Da wir ansonsten eine recht illustre Mannschaft waren, schien das auch für alle in Ordnung zu gehen. Die Mondbasis funkte dem Grizzly den aktuellen Stand der Besiedelungspolitik durch, O. nahm eine Dusche und der Delphin übte jonglieren. Teevorräte würden wir auch für unsere nächste Mission genug dabeihaben. Wir sandten unsere seit Jahrhunderten gleichen Koordinaten zur Stiftskirche rüber und gingen eine Rund ins KIZ, Fussball gucken, jedenfalls der Teil von uns, der sich dafür interessierte. Der Rest der Mannschaft spielte Malefiz, Halma oder Backgammon, bevor alle in ihre Kojen gingen. 4 Grad, leichter Wind, kein Regen. Zunehmender Mond. Der Frosch rauchte nach dem Logbucheintrag eine Zigarette. Nachtwachen würden wir heute abend jedenfalls nicht benötigen.

Kerker

Sternzeit 1463,4

Flash.
Maurie im Kerker.
Unter den Mitgefangenen begann sich langsam aber sicher gute Laune zu verbreiten. Alle hatten etwas auf dem Kerbholz. Die Humorpolizei ist eine überaus wichtige Einrichtung einer Demokratie. Maurie und sein Team hatten lange nicht kommuniziert. Nicht jeder hatte eine Herde tierischer Kumpels. John und Jane saßen in der Windmühle in Enger fest. ‘Kollege, was hast Du verbrochen ?’ fragte Maurie einen seiner Zellengenossen. ‘Ich habe während einer Jura-Vorlesung gelacht.’ antwortete der. Maurie gab Anekdoten seiner erlebten Reisen zum Besten. Sie spielten Skat. Sie rauchten. Sie tranken Tee. Sie beamten einen von ihnen raus, nach Hause. Ein Wärter kam und öffnete die Zellentüren. ‘Leute, Ihr seid zum Abendessen beim Chef eingeladen.’ Manche wollten sich nicht korrumpieren lassen. Die meisten allerdings gingen hin. ‘Warum werden wir hier festgehalten ?’ fragte Maurie. Der Grizzly konnte ihm in dieser Angelegenheit nicht remote helfen. ‘Political Correctness’. ‘Eine Bande Verbrecher.’ ‘Ganz arme Schweine.’ ‘Geldgierige Demagogen’. ‘Auch ein paar Idealisten.’

Flash.
Enger.
John und Jane beim Backgammon. ‘Haben wir seine Koordinaten ?’ ‘Latürnich’. ‘Seine Liste ist lang.’ ‘Ohne Zweifel’. ‘Ist er sich seiner Schuld bewusst ?’ ‘In keinem Falle.’ Jane bot eine Verdoppelung an. John nahm an. ‘Können wir ihn rausholen ?’ ‘…wir könnten…vielleicht…kommt auf einen Versuch an…besser, wir lassen ihn die Erfahrung machen…der nächste Flash kommt…

Alle Türen waren wieder abgeschlossen.

Konsumverhalten

Sternzeit 1306,7

O. vermisste sein Zackenplankton. Seit einer Woche war er jetzt im Krankenhaus, wenn man diese Station so nennen konnte. Von Zeit zu Zeit war die Tür verschlossen. Kaffee und Tabak hatte er genug. Wenn ihm danach war, rauchte er Zitronenmelisse. In der Bastelstunde schrieb er Logbuch. Es gab sogar ein Hirnleistungstraining, das er jedoch regelmäßig ausfallen ließ. Überhaupt musste man sagen, dass er sich nicht direkt große Mühe gab, an seiner sogenannten Gesundung – manche benutzten den englischen Begriff – mitzuwirken. Jedoch schien es ihm so, dass er wenigstens in Sicherheit war. Manchmal löcherte er das Personal mit scheinbar sinnlosen Fragen.

Was ist eine Tsychose ?
Woher kommt das ?
Was hat das mit Depressionen zu tun ?
Wann geht es mir besser ?
Was können wir tun ?
Warum bieten Sie hier Sport an ?
Können meine Freunde mich nicht mal wieder besuchen kommen ?

Er stöberte ein wenig in den Comics, die die Mannschaft ihm eingepackt hatte. Oh, sogar ein ‘Silver Surfer’ war dabei. Zwar gab es ein sogenanntes Stations- oder Patiententelefon, jemanden darauf zu erreichen war aber ungefähr so gut möglich wie mit einer Leiter zum Mond zu steigen. Überhaupt schien die Zeit auf der AC8 viel langsamer zu verstreichen als er das gewohnt war. Seinen Zackenplanktonkonsum hatte er als kontroproduktiv erkannt. Das war für eine Woche schon ein gewaltiger Schritt. Der sonstige Konsum von psychotropen Substanzen inklusive Kaffee, Zigaretten, Tee, Minze und Zitronenmelisse war jedoch nach wie vor bezeichnend hoch. Er aß einen Keks und ging schlafen. Ein Neumond, ein zunehmender. Kein Regen. Er schlief ohne Pillen, Gott sei’ s gedankt. Aber unruhige Träume.

Sternzeit 1307,3

Reisen ins Innere

Sternzeit 1302,9

Auf unserer heutigen Reise ins Innere eines linksdrehenden E-Coli-Bakteriums stellten wir etwas ganz und gar Überraschendes fest. Es existiert ein rechtsdrehendes Gegenstück aus Anti-Materie, das auf den äußeren Elektronenschalen ganz ähnlich beschaffen ist. Den Grizzly konnten wir dazu nicht befragen, der war damit beschäftigt, den Delphin auf der Subraumebene mit seiner Geliebten zu verbinden. Also mussten wir versuchen, eine Reise ohne K.I.-Begleitung anzutreten. Ich schickte Bernie zum Elektroinhalator. Den hatte der Octopus, der ja jetzt in der Psychiatrie sitzt, immer für seinen lustigen Zeitvertreib benutzt. Es war mir aber gelungen, den Inhalator mit dem elektromagnetischen Feld meines TV-Geräts zu koppeln, so dass wir ohne Probleme eine 25-fache Verkleinerung hinbekamen. Das reichte zwar nicht ganz zum Jonglieren mit den Elektronen, war jedoch schon um ein Vielfaches näher an unserem Bakterium als mit dem bloßen Auge. Bernie betrat die äußerste Schale und wartete auf der vermuteten Bahn. Der Antimaterien-Bernie hatte keinen Bock und bat mich um meine Teepfeife, die ich ihm ohne weiteres Aufhebens aushändigte. Bernie eins klopfte einmal. Bernie zwei antwortete mit drei Mal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. Das tat er nur wegen dem Tee. Ich schickte Nummer eins eine Ebene tiefer ans Innere heran. Zwei streikte immer noch. Ein Positron stiess mit einem Neutrino zusammen. Das geschah im Schnitt 5 Mal im Jahr. Eins näherte sich dem Kern. 3 Quarks wurden vermutet. Ich las einen Psalm. Zwei flog aus dem Fenster, traf Sieben und löste sich auf. Bernie erforschte den Atomkern mit der gebotenen Obacht. Als ich den Befehl zur Rückkehr gab, verrutschte der Maulwurfine der Objektträger. Bernie fiel tief, überlebte aber ohne Blessuren. Als er schliesslich seine normale Größe wieder erreicht hatte, war er voll neuen Wissens über Rechts und Links. Zum Glück hatte er früh genug damit begonnen. Wir sahen uns die Monde an. Oho, was gab es alles zu entdecken !

Nachdem die Subraumverbindung zwischen den Delphinen geklappt hatte und nicht mehr benötigt wurde, kontaktierten wir den Octopus. Er saß, wie sollte es anders sein, im Raucherzimmer. ‘Gehen Sie linksrum.’ sagte der Arzt. O. stellte sich blöd. ‘Ich habe einen Sender im Zahn, den muss ich zur Verbesserung des Allgemeinwohls einsetzen. Visitieren Sie mich.’, sagte O. Der Arzt sagte : ‘Sie waren sehr, sehr krank, aber nun sind Sie wieder gesund und es gibt eine Menge Arbeit.’ ‘Haben Sie Feuer ?’ fragte O. Er drehte sich um und zählte seine Finger. ‘Das sind 11.’ bemerkte er plötzlich. Da war wohl etwas schiefgegangen. Wir schickten eine Subraummessage : ‘Erforsche die Station. Mach alles mit. Das ganze Programm !’ ‘Verflucht, dann geben Sie mir halt die Arbeit!’ schrie O. den Arzt an. Das wurde natürlich sofort schriftlich festgehalten. ‘Morgen mache ich einen Jonglageworkshop, okay ? Ach was frag ich.’ murmelte der Octopus und ging ins Bett. Die Medikation verweigerte er.

‘Lasst uns einen Kuchen backen und ihn morgen besuchen.’ sagte ich, als ich meinen Logbucheintrag beendet hatte. Das fragliche Neutrino hatte ich mit einem Post-It angeheftet. Alle fanden, das war eine hervorragende Idee. Gleich morgen ? Gleich morgen. Experiment ‘Patient weiss es noch nicht.’ konnte beginnen. Erfolgversprechend. Sternklarer Himmel.

Sternzeit 1303,7