Konsumverhalten

Sternzeit 1306,7

O. vermisste sein Zackenplankton. Seit einer Woche war er jetzt im Krankenhaus, wenn man diese Station so nennen konnte. Von Zeit zu Zeit war die Tür verschlossen. Kaffee und Tabak hatte er genug. Wenn ihm danach war, rauchte er Zitronenmelisse. In der Bastelstunde schrieb er Logbuch. Es gab sogar ein Hirnleistungstraining, das er jedoch regelmäßig ausfallen ließ. Überhaupt musste man sagen, dass er sich nicht direkt große Mühe gab, an seiner sogenannten Gesundung – manche benutzten den englischen Begriff – mitzuwirken. Jedoch schien es ihm so, dass er wenigstens in Sicherheit war. Manchmal löcherte er das Personal mit scheinbar sinnlosen Fragen.

Was ist eine Tsychose ?
Woher kommt das ?
Was hat das mit Depressionen zu tun ?
Wann geht es mir besser ?
Was können wir tun ?
Warum bieten Sie hier Sport an ?
Können meine Freunde mich nicht mal wieder besuchen kommen ?

Er stöberte ein wenig in den Comics, die die Mannschaft ihm eingepackt hatte. Oh, sogar ein ‘Silver Surfer’ war dabei. Zwar gab es ein sogenanntes Stations- oder Patiententelefon, jemanden darauf zu erreichen war aber ungefähr so gut möglich wie mit einer Leiter zum Mond zu steigen. Überhaupt schien die Zeit auf der AC8 viel langsamer zu verstreichen als er das gewohnt war. Seinen Zackenplanktonkonsum hatte er als kontroproduktiv erkannt. Das war für eine Woche schon ein gewaltiger Schritt. Der sonstige Konsum von psychotropen Substanzen inklusive Kaffee, Zigaretten, Tee, Minze und Zitronenmelisse war jedoch nach wie vor bezeichnend hoch. Er aß einen Keks und ging schlafen. Ein Neumond, ein zunehmender. Kein Regen. Er schlief ohne Pillen, Gott sei’ s gedankt. Aber unruhige Träume.

Sternzeit 1307,3

Anarchistische Tendenzen

Sternzeit 1305,3

Wie verabredet stand Bernie um 10 auf der Matte. Er hatte viel zu erzählen. Gerade hatte er O. in der Ergotherapie besucht. Das war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den er sich eingelassen hatte, auch wenn wir ihm doch empfohlen hatten, alle anderen Therapieformen ebenfalls auszuprobieren. Er hatte Vertrauen zu einzelnen Mitpatienten gefasst. Beim Klinikpersonal sah das anders aus, manche beschwerten sich schon über seine anarchistischen Tendenzen. So hatte er die Idee eines Hungerstreiks gehabt. Es erschien ihm unmöglich, einfach business-as-usual zu machen, wenn auch nur ein einziger Mitpatient im spirituellen Krieg lebte. Da musste man doch etwas unternehmen ! Und da fiel ihm nunmal beten nicht als erstes ein. Der Ameisenbär würde darüber ganz besonders traurig sein, das stand nunmal fest. Aber trotzdem konnte man nicht behaupten, dass O. nichts hatte, an das er glaubte. Oh, er glaubte an ausgleichende Gerechtigkeit, an Frieden und Liebe, an Menschen, die einen Unterschied zu den Gleichmachern und den Drogen machten, an den hippokratischen Eid, an die Rettung der Erde, an den heiligen Krieg gegen die sich selbst so nennenden Pädophilen (in Wirklichkeit sind es kriminelle Monster) und an den Regen. Das war nicht gerade wenig. Die Station hatte sogar im Raucherraum eine neue Farbe bekommen. In monatlichen Abständen wurde die Räucherkammer zwar sowieso wieder weiss gestrichen, aber das Graffitti wollte und wollte kein Ende nehmen. Für Einzelne hatten die Sprüche, die mehr darstellten als ein reines Lebenszeichen, sogar einen therapeutischen Effekt. Nicht direkt missionierend waren die Wände doch ein Forum für Gleichgesinnte. Wie O. überhaupt fand, mussten sich alle auf der Station, Klient oder MA, als Passagiere in demselben Boot empfinden. Im Moment lernte er gerade, Kraniche zu falten.

All das erzählte Bernie mir während eines ausgedehnten Frühstücks. Den Kaffee hatte ich mit Hilfe meines Bodums aufgesetzt. Ich fand, morgen war es mal wieder an der Zeit, ein Experiment zu starten. Wir würden O. Zitronenmelisse mitbringen. Getrocknete aus dem letzten Herbst. Auch wenn draußen bereits der Frühling dämmerte, war es vielleicht doch noch ein wenig kalt, um radzufahren. Im Bus fühlte sich jedoch niemand von uns wohl.

Wer weiss, vielleicht fühlten wir uns alle ja schon wieder fit genug, um eine neue Aussenmission zu starten. Wir ließen den Grizzly alle Ergebnisse an die Mondbasis funken und packten O. eine Tasche mit frischer Wäsche und einigen Comics. Die Maulwurfine packte ihm sogar einige Kekse ein. Bald würden wir die Kirschblüte feiern.

Sternzeit 1306,2